Alice im Wunderland
[ 27.05.2010 ] Will man dem dreidimensionalen Filmerlebnis auf die Spur kommen, ist ein weiter Sprung zurück nötig: Bereits 1896 gab es mit dem Einminüter DIE ANKUNFT EINES ZUGES AUF DEM BAHNHOF IN LA CIOTAT erste Versuche, plastische Bilder zu erzeugen. Wie das Ergebnis ausgesehen haben mag, kann sich heute niemand mehr vorstellen. Doch so richtig setzte sich das neue Verfahren trotz späterer Klassiker wie Hitchcocks BEI ANRUF MORD nie durch – zu unprofessionell die Technik, zu grobe physische Nebenwirkungen, auf zu tönernen Füßen stand der temporäre Boom.
Nun geht der Trend wieder zum wesentlich ausgereifteren 3D-Spektakel, für viele (erwachsene) Zuschauer dürfte MY BLOODY VALENTINE 3D die visuelle Entjungferung gewesen sein. Und ja: Als dort Augen in Publikumsrichtung ploppten, man sich instinktiv duckte, um fliegenden Unterkiefern auszuweichen oder nackte Brüste in allen nötigen Dimensionen schaukeln sah, geriet ein Standard-Slasher zum Kollektiv-Erlebnis, da war Mehrwert drin. Dieses „Boah!“-Gefühl hielt noch weiter und in größeren Zuschauerdimensionen an, als zum Beispiel in ICE AGE 3 Schneeflocken durch den Saal wirbelten. Da gibt man gern mehr für eine Karte aus, schließlich will der technische Umbau refinanziert sein, logisch. Folglich bescherte der Hype seit seinem Neubeginn dem Kino massive und – sind wir ehrlich – nötige Umsatzzuwächse.
Das ist zweifellos wunderbar, doch andererseits eben auch weniger tollen Faktoren geschuldet: Zuschauer, welche lieber eine 2D-Kopie besuchen möchten beziehungsweise schlicht nicht räumlich sehen können, stehen mancherorts häufig vor der Wahl „3D oder Verzicht.“ Manchmal wird Müll auf die Leinwand gewuchtet, der es sonst nur zur DVD-Premiere bringen würde. Und schließlich rennt das Publikum noch scheinbar unreflektiert in alles, was eine Brille mit sich zieht. Ob das so bleibt, zeigt hier allerdings nicht primär die Zeit, sondern ein Umdenken in den Chefetagen der Filmstudios. Denn es ist doch letztlich so: Neben Filmen, welche die 3D-Technik tatsächlich nutzen, um ein echtes Extra zu bieten, schleichen sich verstärkt Kandidaten in die Lichtspielhäuser, denen jedes Kind ansieht, daß 3D hier bloß Mittel zum Zweck ist. Wer beispielsweise das Mißvergnügen hatte, seinen Nachwuchs in G-FORCE – AGENTEN MIT BISS begleiten zu müssen, kennt das Problem – ständig fliegt, springt oder katapultiert sich etwas vor den Augen herum, ohne daß es dafür einen Grund gäbe. Der Effekt verkommt zur Rummelplatz-Attraktion, und dann hat man irgendwann die Nase zumindest vorerst voll. Zumal der Unmut wächst. Neben „echten“ 3D-Filmen wie AVATAR, für deren Dreh entsprechende Spezialkameras zum Einsatz kommen, werden immer häufiger in 2D entstandene Werke erst in der Post-Produktion durch den Rechner gejagt, um einen wesentlich billigeren Tiefeneffekt zu erzielen. Letzteres betraf kürzlich unter anderem ALICE IM WUNDERLAND oder KAMPF DER TITANEN. Daran haftet der nicht gerade süße Duft des alleinig rollenden Rubels durch höhere Kartenpreise.
Selbst die Traumfabrik vergißt da zum Teil ihre Allesfresser-Mentalität: Tim Burton prognostizierte „viele schlechte 3D-Filme“, Michael Bay formulierte es drastischer („You Can't Just Shit Out A 3D Movie“), und auch James Cameron hat die oben beschriebene 2D-Nachbearbeitungs-Geldschneiderei bereits öffentlich kritisiert – was ihn andererseits aber gerüchteweise nicht daran hindert, TITANIC ebenso aufpeppen und erneut ins Kino bringen zu wollen. Zwangsweise, um langfristig überhaupt mithalten zu können? Eine Frage, die generell zu stellen wäre.
Also: Was bringt die 3D-Zukunft, abgesehen von AVATAR 2, SHREK 4, SAW 7 und Co.? Wir wissen es natürlich nicht. Sicher scheint aber, daß sich grundlegend etwas ändern sollte. Kino bleibt selbst im üblen Ramschfall eine Kunst- oder wenigstens Unterhaltungsform, diesem Anspruch muß Rechnung getragen werden. Führt der Weg noch mehr in Richtung schnelles Geld, macht das kein Zuschauer auf Dauer mit. Heißt: 3D als Unterstützung der Handlung und visueller Mehrwert ist eine tolle Sache, vielleicht gar die versprochene Film-Revolution. Rummel-platz-Äquivalente in Form von nachträglich gepimptem Kram, Krach-Bumm-Peng-Effekt-Schlachten oder sowieso schon überflüssigen, weil nur die Ideenlosigkeit Hollywoods beweisenden Remakes – in der Warteschleife scharren zum Beispiel PIRANHA, GREMLINS und DER WEISSE HAI mit 3D-Hufen – laufen sich dagegen tot. Zwar aus anderen Gründen, aber dennoch zum zweiten Mal. „I’m Saying, The Jury Is Still Out“ (Michael Bay) ...
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...