Süßes Backwerk und ein hoffender Zukunftsblick

[ 09.06.2016 ] Anderssein war – wen wundert’s – schon immer ein Kinostoff. Nur leider laufen Geschichten darüber oft unter Ausschluß der Öffentlichkeit: zu sperrig, zu ernst, zu wenig unterhaltsam. Abgesehen vom damaligen Kassenknüller RAIN MAN, der mit guten Absichten, aber reichlich klebrig erzählte, galt das bisher ebenso für Autismus als Sujet filmischer Betrachtung. IHR NAME IST SABINE sahen rund 5000 (!) Zuschauer bundesweit, der tolle IM WELTRAUM GIBT ES KEINE GEFÜHLE flimmerte vor nur 15.000 Gästen, in SNOW CAKE trauten sich trotz Starbesetzung lediglich 60.000 Menschen. Etwas besser erging es bloß EXTREM LAUT UND UNGLAUBLICH NAH, dessen bekannte Romanvorlage dabei half, immerhin 103.000 Eintrittskarten zu verkaufen. Aber jetzt plötzlich das: In seiner Heimat Frankreich geriet BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL zwar zum Flop, hierzulande läuft er indes kontinuierlich seit dem 10. März und hat kürzlich die 500.000-Besucher-Marke geknackt. Ein Vorbote, möchte man sagen, wenn man bedenkt, daß die Passage im April RICHTIG AUTISTISCH zunächst als einmalige Vorführung plante, ihn wegen der hohen Nachfrage dann jedoch mehrere Wochen lang spielte. Fachleute beobachten es: Autismus wird endlich größere Aufmerksamkeit geschenkt, Eltern autistischer Kinder informieren sich und suchen Unterstützung, Ärzte sind aufgeschlossener, von „sonderbar“, „geistig behindert“ oder gar „anormal“ ist zum Glück keine Rede mehr. Wieso auch, jeder von uns zeigt hier und da zumindest autistische Züge. Trotzdem oder gerade deswegen gehört die Wahrnehmung weiter geschärft, das Thema in der Gesellschaftsmitte verankert. Und weil Kino nun mal per se keine Grenzen kennt, gleichermaßen als Ort der Phantasie wie Realitätstreue dient und dabei grundsätzlich alles vermag, sei jetzt einfach mal stark darauf gehofft, daß Filme wie eben der wunderbare BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL weiter ihren Teil zu Verstehen, Schrankenabbau sowie Auseinandersetzung beitragen, und zwar nicht allein auf Autismus bezogen. Damit man „Anderssein“ im alltäglichen Sprachgebrauch zukünftig irgendwann ganz selbstverständlich durch „Vielfalt“ ersetzt.

Über Diversität nicht nur im Kino freut sich

Frank Blessin

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...