Eine These, die Nachdenkpotential entfaltet: DIE ZEIT VERGEHT WIE EIN BRÜLLENDER LÖWE. So hieß Philipp Hartmanns eigenwilliger, erfrischender Essay, welchen er eigeninitiativ in die titelgebenden 66 Kino brachte, vor insgesamt 2657 Zuschauer. Dafür kratzt sich in Hollywood keiner nur am Kopf, Hartmann hingegen reiste fast ein Jahr lang durch Deutschland, interviewte abseits der Vorstellungen die Kinomacher.
Wir starten im kleinsten Saal Baden-Württembergs, 18 Plätze harren sie besetzenden Hintern, zur Vorstellung ruft eine Glocke. In Wiesbaden lehnt eine Dame „locker-lässig“ an der Bühne und bekundet Stolz auf das Geschaffene, während wenig später das Aussterben von Eine-Leinwand-Häusern prophezeit wird. Plötzlich stören also erste Gedankenrisse das bisherige Wohlfühlklima: Ist Kino tatsächlich ein „immerwährender Kampf?“ Hat die Digitalisierung ihre erhofften Versprechen wirklich nicht eingelöst, obwohl man sie auf ähnliche Stufen stellen muß wie den Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm? Zweifellos: Das eingefangene Rattern der 35mm-Projektoren inklusive manchmal abenteuerlicher Vorführmethoden umweht knisternde Magie, da zieht – ungeachtet technischer Qualitätssprünge – DCP klar den Kürzeren. Solche und viele weitere Beobachtungen erlauben sowohl die Gesprächspartner, samt und sonders wahre Originale, als auch kluge Montage des abgelichteten Materials. Da schauen wir hinter fürs Publikum sonst verhüllte Kulissen, erfahren beispielsweise, worum es sich bei einer „Kodak-Mieze“ handelt, lauschen gleichermaßen kritischen Betrachtungen, die meistenteils monetäre Züge tragen: Festanstellung, wo gingst Du einst hin?
Zwischen grinsendem CinemaxX-Bashing und facettenreicher Selbstreflexion, Verweigerung puren Abspiels und wirtschaftlichen Erfordernissen schwingt Wehmut, doch nie Weinerlichkeit. Und dann das Kennenlernen der Chefin vom Cineplex Paderborn, ja, eines Multiplex’! Sie liebt selbstständige Programmierung, ihre Mama, Kirchengesänge. Der schwer sympathischen Enthusiastin zuzuhören, bringt etwas deutlich auf den Punkt. Nämlich, daß einem ums Kino nicht bange sein muß, wenn es Menschen dirigieren, denen Leidenschaft, Know How und unerschütterlicher Wille über alles gehen.
Apropos: Wer aufmerksam hinschaut, kann sogar (leider bloß ganz kurz) das Cineding entdecken. Am 4.12.2014 war Hartmann zu Gast, jetzt kehrt er zurück, präsentiert erneut diese Doku. Herzlich willkommen!
D 2016, 98 min
Verleih: Eigenverleih
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Philipp Hartmann
Drehbuch: Philipp Hartmann
Kamera: Philipp Hartmann
Kinostart: 02.11.17
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...