Wäre dies keine Dokumentation, sondern etwa ein französischer Comic, der eine fiktive Geschichte erzählt, so könnte man auch folgendermaßen einleiten: „Wir befinden uns im Jahre 2012. Ganz Argentinien ist von multinationalen Agrarkonzernen besetzt. Ganz Argentinien? Nein! Eine von Indigenen bevölkerte Region namens Monte hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Diese offensichtliche Assoziation mit den „Asterix“-Comics ist nicht etwa aus rein humoristischen Beweggründen gewählt. Sie trifft auf die Frauen und Männer der Landarbeiter-Bewegung MoCaSe-VC, um die es im Film geht, vollkommen zu; mit dem Unterschied, daß hier nicht mit Zaubertrank und Muskelkraft gekämpft wird, sondern mit Hingabe für die Sache, Überzeugung, Liebe, sowie – nicht zu vernachlässigen – mit Geduld und Verstand.
Es ist also die klassische Geschichte der Underdogs, die gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner antreten und, das ist umso beachtenswerter, da es um reale Ereignisse geht, Siege verzeichnen können. Diese Underdogs kommen hier zu Wort; in Interviews und Heimatbildern aus den „betroffenen“ Gebieten im Norden Argentiniens und Demonstrationen vor dem Parlament inmitten der Hauptstadt Buenos Aires.
Der Film ist auch Bestandsaufnahme, denn die Gegenwehr der Landbevölkerung hat bereits eine 20jährige Geschichte. In geradliniger Dokumanier erzählen die Talking Heads der Indigenen von Verlusten wie den Morden an zwei Aktivisten der Bewegung als auch von Etappensiegen wie dem Bau von Schulen und der Planung einer eigenen Universität, die zwar generell offen für jeden ist, jedoch vor allem auf die Weiterbildung und die Lebensumstände der Arbeiterklasse zugeschnitten sein soll. Zwischen den Interviews, die bewußt auf eine Stimme aus dem Off verzichten, um den Campesinas und Campesinos eine unverfälschte Stimme zu geben, werden dem Zuschauer Bewegtbilder aus dem karg anmutenden, doch nicht weniger schönen und heimatlich anmutenden Land in Nordargentinien gezeigt, dessen Bewohner seit Jahrhunderten dort leben und sich nicht so einfach vertreiben lassen, aufgrund von erst Jahrzehnte alten, in hochrangigen Konzern- und Regierungsetagen beschlossenen Abmachungen.
OHNE RAST. OHNE EILE scheint für den europäischen Zuschauer, der von den dortigen Ereignissen keinen Schimmer hat, im ersten Moment noch so weit weg. Minute für Minute wird einem jedoch bewußt, daß die Dokumentation auch vom Mars sein könnte, sie wäre dadurch nicht weniger wichtig und aktuell.
D/Argentinien 2015, 60 min
Verleih: Kameradistinnen
Genre: Dokumentation
Regie: Viviana Uriona
Kinostart: 03.09.15
[ Philipp Winkler ] Philipp mag Filme, die sich in Randgebieten jeglicher Fasson abspielen. Filme, die mitten hinein treffen (und sei es in die Fresse). Filme, die frisch sind, selbst wenn sie siebzig Jahre alt sind. Philipp mag Literaturverfilmungen, denn er schreibt selbst. Doch grundsätzlich mag er auch Comicadaptionen, denn Philipp mag Comics. Er greift eher zu einem guten Dokumentar- als zu einem guten Spielfilm. Diese Leute mag Philipp besonders: James Marsh, Michael Haneke, Harmony Korine, Sabu, Errol Morris, Shohei Imamura, Jeff Nichols, Andrei Tarkowski, John Hillcoat, Hayao Miyazaki, György Palfi, Francis Ford Coppola und Hirokazu Koreeda.