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The Soul Of A Man

Wim Wenders’ Legenden des Blues

Wer war J. B. Lenoir? Hatte es den farbigen Blues-Gott, dessen Tod John Mayall 1967 in "The Death of J. B. Lenoir" so eindringlich besang, wirklich gegeben? Oder war er eines dieser Hirngespinste der drogenseligen 60er, in denen die Mythen der Rebellion überkochten? 1968, als sich ihm der Name J. B. Lenoir im Kopf festhakt, ist der Münchner Filmstudent Wim Wenders 23 Jahre alt. Wer aus dem Geschichtenerzählen einen Beruf machen will, muß dem Geheimnis nachjagen, sobald er es wittert. Um es dann auch aufzuspüren, braucht es manchmal einen langen Atem. Die Spur führt zurück in einen Nachtclub in Chicago Mitte der 60er, zu einer Bühne, auf der ein kleiner rundlicher Mann im zebragestreiften Frack herumtäppelt.

In seinem mittlerweile 27. abendfüllenden Film hat der 57jährige Wenders das Geheimnis seiner Jugend schließlich aufgestöbert. Er hat verschollene Archivaufnahmen ausgegraben, auf denen der mysteriöse Mr. Lenoir endlich zu sehen ist. Ja, es hat ihn gegeben. Er ist jenes kleine dicke Zebra, und er hat eine Kieksstimme. Er wäre eine völlige Witzfigur, wenn er nicht so bezaubernd schüchtern lächeln würde und wenn da nicht diese Gitarre wäre, auf der er spielt, wie niemand vor ihm. Wim Wenders erzählt noch von anderen schwarzen Blues-Legenden. Diese Geschichten sind der reinste Blues: sie sind alle traurig und sie klingen alle gut. Blind Willie Johnson, der Gospelsänger aus Texas, von dem es kein Foto gibt, Skip James, der 1931 an zwei Tagen 20 Stücke aufnahm und dann für 30 Jahre von den Bühnen verschwand.

THE SOUL OF A MAN ist in mancher Hinsicht der Gegenentwurf zu Wenders populärem BUENA VISTA SOCIAL CLUB. In diesem Film waren die Greise beschwingt, verschmitzt und in einer Combo und einem Club behaust, die das heitere Zentrum des Films abgaben. Mit THE SOUL OF A MAN hat Wim Wenders dagegen mal wieder ein bitter-süßes Roadmovie gemacht. Dieser Film kennt keine andere Heimat als die Musik, über die er erzählt. Statt dessen: eine Galerie abgezehrter Einzelkämpfer und rastloser Wandermusiker mit abgegriffenen Klampfen. Für sie wird es kein glorreiches Comeback geben. Aber immerhin ein filmisches Gedenken mit Herz und Seele.

J. B. Lenoir starb am 29. April 1967 an schweren inneren Blutungen. Ein Krankenhaus hatte ihm nach einem Autounfall die Aufnahme verweigert.

Originaltitel: THE SOUL OF A MAN

USA 2003, 103 min
Verleih: Reverse Angle

Genre: Dokumentation, Musik

Stab:
Regie: Wim Wenders
Drehbuch: Wim Wenders

Kinostart: 06.05.04

[ Christian Seichter ]