[ 28.04.2022 ] Zehn zähe Jahre hatte es gedauert, bis die spanische Regisseurin Isabell Coixet ihren Film ELISA UND MARCELA (2019) produziert bekam. Der eine Grund dafür lag im Sujet – die Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der andere und wesentlichere Grund war rein formaler Natur: Daß ihr Film einer in Schwarzweiß sein solle, macht Coixet schon in der ersten Zeile ihres Drehbuchs klar. Was dann insgesamt, wie sie in einem Interview lakonisch bemerkte, „nicht gerade auf Begeisterung stieß.“
Außer beim Streaming-Dienst Netfllx, der dann übernahm, wozu das Gros der Kinoproduzenten nicht fähig oder willens war. Damals jedenfalls. Denn schaut man auf die Lichtspielpläne der Folgezeit, ist da eine zwar verhaltene, aber auch stete Zunahme an Schwarzweißfilmen bemerkbar. Das mag sich durchaus dem Erfolg mit verdanken, der ELISA UND MARCELA schließlich (und völlig zu Recht) beschieden war. Die alleinige Ursache aber kann das freilich nicht sein.
Hat sich da also was geändert? Und wenn ja, warum? Fragen, die sich mit Blick auf die letzten Filmstarts der laufenden Kinosaison geradezu aufdrängen. Mit Blick auf Andreas Kleinerts Künstlerbiographie LIEBER THOMAS oder Kenneth Branaghs Erinnerungsreigen BELFAST, auf die grandiose Shakespeare-Adaption MACBETH durch Joel Coen oder auf Mike Mills’ empathische Charakterstudie COME ON, COME ON. Und schließlich auf Jacques Audiards atmosphärischen Großstadtreigen WO IN PARIS DIE SONNE AUFGEHT – alles aktuelle Filme, die, bei allen Unterschieden, zwei markante Gemeinsamkeiten aufweisen: Sie bestechen insgesamt in ihrer Qualität – und speziell mit ihrer Entscheidung für ein Erzählen in Schwarzweiß.
Daß Letzteres natürlich nicht automatisch Ersteres garantiert, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Gleichwohl ist umgekehrt festzuhalten, daß die Entscheidung, in Schwarzweiß zu drehen, allein schon für einen ästhetischen Anspruch steht, der immer als eine Rückbesinnung aufscheint, mithin als ein Postulat des Formbewußtseins – und das meint: als Bekenntnis zum Kino als Kunstform.
„Die ganze Vielfalt, der ganze Reiz, die ganze Schönheit des Lebens besteht aus Schatten und Licht.“ – das wußte schon der alte Tolstoi und definierte mit diesem Satz einen Wesenszug des Kinos, ohne dieses zu meinen. Und wenn der Regisseur Pawel Pawlikowski erklärt, daß er seinen Film COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE in Schwarzweiß gedreht habe, um nicht „mit der Prosa des Lebens zu langweilen“, widerspricht das der Aussage des russischen Schöpfers opulent lebenspraller Literatur keinesfalls. Im Gegenteil.
Denn es ist immer nur die Form, die Kunst zur Kunst macht. Und selbst im opulentesten Kunstwerk (wenn es denn wirklich eins ist) arbeitet auch in der Opulenz eine Mechanik der Reduktion, die den Blick fürs Detail schärft – und somit unsere Eindrücke, unsere Aufmerksamkeit stimuliert und optimiert. Fürs Kino heißt das: Die geschärften Kontraste (Schwarz-Weiß) schärfen die Zwischentöne (die vielen Graustufen) und unsere Wahrnehmung selbiger. Paradoxerweise manifestiert sich somit gerade Schwarz-Weiß als Gegenpart zum Entweder-Oder.
Das spricht natürlich mitnichten gegen Filme in Farbe, aber unbedingt für ein Kino in all seinen formalen Facetten und verschiedensten inhaltlichen Perspektiven. Und vielleicht liegt darin auch die Antwort auf obige Fragen: in einem – so die Hoffnung – schlicht wieder wachsenden Bedürfnis nach diesen Facetten und Perspektiven. Auf Filme, die das Licht-Schatten-Spiel menschlicher Existenz in all seiner Vielfalt zelebrieren. Und das meint auch: Wider der Langweilerprosa einer gesellschaftlichen Realität grassierender Entweder-Oder-Simplifizierungen.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.