Originaltitel: 25TH HOUR
USA 2002, 135 min
Verleih: Buena Vista
Genre: Drama, Gangster
Darsteller: Edward Norton, Seymor Hoffman, Rosario Dawson, Anna Paquin
Regie: Spike Lee
Wenn einen nur noch Tagesfrist von der Hölle trennt - 24 Stunden bis zum Antritt einer siebenjährigen Gefängnisstrafe - könnten Abschiedsgesten, Anstandsbesuche bei Eltern und Bekannten eigentlich sehr knapp ausfallen, damit genügend Zeit bleibt, die himmlische Luft der Freiheit bis zur Neige auszukosten. Doch Drogendealer Monty hat noch einen ganzen Berg von Rechnungen zu begleichen. Vor allem muß er wissen: Wer hat ihn verraten?
Nach einem Roman von David Benioff hat Regisseur Spike Lee eine Befindlichkeitsstudie, ein Persönlichkeits-Profil dieses Mannes angefertigt. Montys Freunde, die schöne Naturelle, Bekannte und Kollegen aus der kriminellen Arbeitswelt und schließlich sein Vater helfen beim Zusammensetzen des Bildes. Es bleibt diffus: ein Drogendealer, dem als Schüler alle Türen zu einer rechtschaffenen Karriere offenstanden, ein aufopferungsvoller Sohn, dem kein Geschäft zu dreckig war, um seinem Vater zu helfen, ein knallharter Unterweltler, der seine Freundin zärtlich und wirklich liebt. Das Unentscheidbare, das Schwebende dieses Charakters wird auf einer seltsam fahlen visuellen Oberfläche weiter zerstreut - und die Zeit dehnt sich. Während im Hintergrund der gnadenlose Countdown zur Eile drängt, übt sich Monty in Selbstreflexionen, prüft die Tragfähigkeit seiner Beziehungen, suhlt sich in Mißtrauen und Ohnmacht. Selten bemüht sich Lee, die Reise anzutreiben: Er zelebriert eine Abschiedstournee - Schuld und Sühne, Aufarbeitung eines Lebens, Aufräumen, Ordnungseinsatz für die reibungslose Nachlaßverwaltung, als hätte sein krimineller Sympathieträger alle Zeit der Welt. Während die Hauptfigur mit aller glaubwürdigen Zerrissenheit eines Antihelden ausstattet ist, erlaubt sich Lee für andere Figuren einebnende Vereinfachungen. Da müssen Montys engste Freunde ein Harter und ein Zarter sein, ein kaltschnäuziger Börsenmakler und ein butterweicher Lehrer.
Der Prolog mit Stadtansichten, ein Blick auf Ground Zero, spätestens eine von Monty als Fluch ausgesprochene Haßtirade, gipfelnd in "Fuck this city and everyone in it", machen dann überdeutlich, wo Lee in aller Undeutlichkeit hinwollte: in das Herz von New York, in den Seelenzustand einer verunsicherten Stadt. Angekommen ist er nicht.
[ Sylvia Görke ]