Das muß man sich erst einmal trauen, ohne Rücksicht auf die ewige deutsche Furcht einem Publikum, das derzeit so unabrückbar auf leichte Komödien geeicht ist, derartige Introduktion anzubieten: Eine Traueranzeige wird telefonisch durchgegeben, im Hintergrund ein Pensionärsgattinnenkopf frisiert, es folgt ein Schuß! In den Kopf des Teenagers Mike, der das beenden wollte, was so leichtfertig das Leben Heranwachsender genannt wird.
Zum Glück sind wir im Kino, der Schuß war nicht von solcher Wucht, und als Mikes Mutter zornig und lapidar zugleich am Krankenbett moniert, daß sie nun weitaus triftigere Gründe hätte, sich in den Kopf zu schießen, dann muß man doch lachen. Nicht laut und krachledern ist der Humor in diesem außergewöhnlichen Film, das wäre unangemessen, wird doch von einem Jungen erzählt, der schon von einer profunden Melancholie, einer durchaus ernsthaften Lebensmüdigkeit befallen ist. Mike heißt mit dem Nachnamen Tyson, die Hänseleien an der Schule in der kanadischen Provinz muß man daher nicht weiter illustrieren. Die gesellen sich ohnehin zu den manchmal auch körperlichen Attacken, die einem jungen Menschen so entgegenkrachen, wenn man anders ist. Stiller, introvertierter, nicht so lärmig, nicht von dieser aufgesetzten Heiterkeit, mit der nicht Wenige heutzutage Unzulänglichkeiten wegkichern wollen. Mikes Kopf verheilt, die Lust am Leben kommt damit aber nicht zwangsläufig zurück, weshalb die spontane Diagnose, die andere in Tränen ausbrechen ließe, ja so was von gelegen kommt: Ein Tumor wächst in Mikes Kopf. Und endlich sieht man den Jungen auch mal lächeln ...
Das ist schon saftig, aber wenn es wie beiläufig, nie zu überdeutlich und mit einer subtil feixenden Selbstverständlichkeit erzählt wird, dann rührt das gleichermaßen an, wie es eben amüsiert. Er ist ein Glücksfall fürs deutsche Kino, dieser Florian Cossen, dem verquere, interkontinentale Familiengeschichten zu liegen scheinen, wie schon eindrücklich sein Debüt DAS LIED IN MIR vor knapp fünf Jahren bewies. Und in Mikes Leben läuft eben einiges schief: Die bereits erwähnte Mutter ist von guten Absichten umzingelt, was ehrenwert, aber auch stressig sein kann, an den Vater, den Mikes Mutter unmißverständlich nur den „Verlierer“ nennt, kann sich der 16jährige kaum erinnern, und nachdem Mike seinem Nachnamen gemäß endlich den Rotzern an der Schule gehörig auf die Zwölfe haut, fliegt er von der Lehreinrichtung, da diese nur freundliche Menschen duldet.
Dieser Rauswurf steht für einen Neuanfang: Mike wird eine „lebensbejahende Therapie“ antreten, dabei wird er die ebenfalls etwas schräge Miranda kennenlernen, er wird sein Ziel dennoch nicht aus den Augen verlieren und liegt schon mal Probe beim Spezialisten für gute Särge. Außerdem wird er sich auf die Suche nach seinem Vater machen. Daß diese Therapie ganz in Mike-Tyson-Couleur erzählt wird, versteht sich, wenn man sieht, daß sie dem Jungen von einem gewissen Dr. Udo Kier verschrieben wurde ...
Es ist nicht wenig, was Florian Cossen und seine Drehbuchautorin Elena von Saucken verknüpfen wollen, aber es funktioniert. Glaubwürdig ist diese Sehnsucht nach einem Vater, auch wenn der schwach ist oder als junger Mensch war, überzeugend die Attitüden seiner Figuren, die nun wirklich mehr als genug Erkenntnis davon haben, daß das Leben nicht immer fair ist, und absolut sympathisch gerät der Titelheld, weil er schweigen kann, weil er nicht so verschwenderisch liebt, sich aber eben doch verlieben kann, weil er irgendwie echt ist.
Und das liegt auch und vor allem am Hauptdarsteller Alex Ozerov, der Mike in einem Mix aus dem linkischen Buster Keaton und den früheren Rollen eines Johnny Depp anlegt.
D/Kanada 2015, 97 min
FSK 12
Verleih: Majestic
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Alex Ozerov, Sebastian Schipper, Krista Bridges
Regie: Florian Cossen
Kinostart: 13.08.15
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.