Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado hat mehr als 40 Jahre lang die Welt bereist und Menschen fotografiert. Weltberühmt sind die Bilder aus brasilianischen Goldminen, in denen hunderte Minenarbeiter wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch im Durcheinander an einer steilen Wand auf- und absteigen. Auch die bedrückenden Aufnahmen sterbender Menschen in Afrika haben sich ins Gedächtnis gegraben. Nicht so bekannt ist, daß Salgados Werk weit mehr bereithält, als diese gestochen scharfen Zeugnisse menschlicher Tragödien, denen Kritiker eine Ästhetisierung des Elend vorwerfen.
Wim Wenders zieht die Blende auf und zeigt ein komplexeres Bild des 70jährigen Künstlers. Dabei stellt er Salgado im wahrsten Sinne des Wortes durch seine Bilder vor, die beide gemeinsam in chronologischer Folge betrachten. So verbinden sich die „alten“ Aufnahmen mit dem „neuen“ Echo, das sie bei Salgado hervorrufen. Ein schlauer Schachzug, denn auf diese Weise entlockt Wenders seinem medienerfahrenen Gegenüber durchaus noch spontane, emotionale Reaktionen. In den Gesprächen wird auch deutlich, daß Salgado nie ein Krisen-Jet-Setter war, der auf der Suche nach dem ergreifendsten Bild von Land zu Land eilte. Stattdessen lebte er oft wochenlang mit den Menschen auf engstem Raum zusammen und kam ihnen dabei nicht nur mit der Kamera nahe. Doch diese Nähe hat ihren Preis. Wer jahrzehntelang das „Herz der Finsternis“ ausleuchtet, dem bleiben seelische Narben. Nach seinem letzten Aufenthalt in Afrika versank Salgado in Depressionen, wollte sogar das Fotografieren aufgeben. Die Gründe zum Weitermachen waren – so Salgado – die Schönheit der Natur und seine Familie.
Erstere wird von Wenders ausgiebig in den Fokus gerückt. Leider bleibt der Einfluß seiner Familie auf sein Leben und Werk verglichen damit unterbelichtet. Dabei fungiert sein eigener Sohn Juliano als Ko-Regisseur des Films, und seine Frau Lelia ist seit 40 Jahren gleichzeitig Muse, Managerin und künstlerische Partnerin all seiner Projekte. Während die beiden trotzdem seltsam ungreifbar bleiben, prägt Wim Wenders den Film durchaus spürbar durch seine Person. DAS SALZ DER ERDE schreibt eine Geschichte der großen Männer (und diese Geschichte ist durchaus beeindruckend).
Was fehlt, ist der Blick auf die Menschen neben diesen Männern – und dieses Fehlen ist so auffallend, daß es dem ansonsten anregenden und wunderschönen Film doch einen kleinen Abbruch tut. Trotzdem sehr sehenswert!
Originaltitel: THE SALT OF THE EARTH
F/Brasilien 2014, 109 min
FSK 12
Verleih: NFP
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado
Kinostart: 30.10.14
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.