CH 2016, 97 min
FSK 6
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Historie

Darsteller: Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner

Regie: Petra Volpe

Kinostart: 03.08.17

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Die göttliche Ordnung

Widersinn und Widerstand in Appenzell

In San Francisco haben sie die Blumen schon wieder aus dem Haar genommen, in Appenzell Innerrhoden waren nie welche drin. Anfang der 70er tragen junge Frauen in der ländlichen Schweiz höchstens zu örtlichen Festlichkeiten oder auf ihrem streng gebunden Kopftuch Blümchen. In Zürich vielleicht oder Basel sind von den globalen 68ern ein paar Energien angekommen. Dort gibt es Studenten, dort formiert sich der Widerstand gegen den Widersinn, vor allem gegen Alteingesessenes. Denn: Es ist an der Zeit, daß nunmehr auch im sich so angestrengt liberal gebenden Alpenstaat beide Geschlechter wählen dürfen. Bislang ist noch jedes Begehren abgeschmettert worden. Das erste datierte von 1890.

Regisseurin Petra Volpe beginnt DIE GÖTTLICHE ORDNUNG mit Kontrasten. Schnittig läßt sie grellbuntes Flower Power aus Übersee aufs Appenzeller Grau prallen, Janis Joplin aufs Düdelü, Woodstock auf Bienenstock. Die zweifache Mutter und brave Ehefrau Nora weiß nichts von fernen Revolutionen: So etwas wie eine Ahnung davon bekommt sie nur, wenn ihre Nichte mal wieder rebelliert, sich auffällig schminkt und die große Klappe auspackt. Ansonsten regiert dörfliche Routine. Hans, Noras Mann, ist angesehener Handwerker und brav beim Militärdienst, dessen Vater wohnt mit im Haus, weil er sich mit dem anderen Sohn verstritten hat. Der hatte den Hof übernommen – ohne seinen Erzeuger. Ist also hübsch was los am Eßtisch der Sippe.

Offiziell soll es im Februar 1971 wieder um die Stimme der Frau gehen. Es scheint, als sei die Ablehnung der Kantone ein weiteres Mal gesetzt, da formiert sich das Pro auch in Noras Umfeld. Sie selbst läßt sich in einer Mischung aus Neugier und Angst in eine führende Rolle drängen. Denn es dreht sich um mehr als Kreuze in Wahlkabinen. Es ist vielmehr die Geschichte multipler Emanzipation, begleitet nicht so sehr von Rasseln und Keifen, eher vom Aufbegehren gegen eigene Zweifel. Und so zieht Nora mit der immer mutiger werdenden Schwägerin, der neu erweckten alten Wirtin Vroni und anderen Frauen weg von ihren Familien in den Dorfkrug zum kollektiv gelebten Nein. So nicht weiter! Linkisch fast hatte Nora zuvor den Protest nach Appenzell gebracht, ihre Frisur aufgepeppt, sich begonnen freizuschwimmen. Und daß sie einen Tiger zwischen ihren Beinen hat, hätte sie bis dahin auch nicht gedacht.

DIE GÖTTLICHE ORDNUNG ist der späte Film über einen spät eingeräumten Paragraphen. Es war der Abspann von Sarah Gavrons 2015er-Drama SUFFRAGETTE, der Daten zeigte, an denen weltweit das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Oder eben nicht. Das mit der Schweiz hatte dem Unkundigen ein besonderes mulmiges Gefühl gebracht. Der Geist dieses Films weht nun auch durch die eidgenössische Variation, essentiell marmoriert und bereichert durch die Geschichten der Männer, die nur am Beginn in einige schwarzweiße Klischees tapsen, sich daraus aber schnell befreien. Sie also auch!

Daß sich Regisseurin Volpe mit einem beherzt aufspielenden Ensemble eher konventioneller Mittel bedient, ist im Hinblick auf die Zuschauerzahlen hilfreich. Einige ironische, gar komische Brechungen, ohne den Ernst der Sache zu verniedlichen, geben dem Drama Luft und Unterhaltungswert. Judith Kaufmanns direkte Menschenbilder schaffen es ebenso.

Übrigens: Appenzell Innerrhoden hat noch bis 1990 gebraucht, um die göttliche Ordnung zu verlassen und Frauen auf kantonaler Ebene wählen zu lassen.

[ Andreas Körner ]