Selbst die Möwen grüßen nicht mehr, wenn sie an Sainte-Marie-La-Mauderne vorbeifliegen. Einst war die Insel ein Fischerparadies. Vorbei, mittlerweile floriert das Leben einmal im Monat, nämlich wenn Postfrau Ève die Schecks vom Sozialamt austeilt. Eine letzte Perspektive ist die Fabrik, die ein großes Unternehmen in La Mauderne zu erbauen gedenkt. Vorausgesetzt, ein Arzt läßt sich im Örtchen nieder. Woher nehmen, wenn nicht entführen? Wenig später wird Doktor Christopher Lewis zu einem Monat Strafarbeit auf der Insel verdonnert. Zufall?
Die Dorfglocken läuten zur Beratung. Einen Monat hat man nun Zeit, den Arzt - ein Schönheitschirurg wohlgemerkt - zu verführen. Er soll sich in das marode Kaff verlieben. All seine Telefonate sollen abgehört werden, um ihm jeden Wunsch quasi von der Leitung zu lesen. Doch ein Arzt auf der Insel ist natürlich heiß begehrt. Die Patienten stehen sofort Schlange, von Fleischwunden bis zum großflächigen Fußpilz reicht die Palette. Wieder läuten die Glocken zur Beratung ...
Not macht erfinderisch, möchte man meinen. Doch die bauernschlaue Hartnäckigkeit, mit der die Bewohner von Sainte-Marie-La-Mauderne den ahnungslosen Dr. Lewis umgarnen, grenzt schon ans Kriminelle. Da wird das Dorfvolk mal eben in eine Kricket-Mannschaft verwandelt, weil der Arzt eine Vorliebe für den Snobsport hat. Und abendliche Telefonate mit der Freundin werden akribisch ausgewertet, um taktische Vorteile zu erlangen.
Man mag der herrlich schrulligen Komödie ihren märchenhaften Anstrich vorhalten, mit dem sie selbst die heftigsten Elemente (immerhin wird Dr. Lewis nicht fürs Bonbonklauen auf die Insel verbannt) überpinselt. Doch genau das macht den Charakter des kanadischen Kinohits aus. Ein Märchen über die Einfachheit der Verführung. Wie schnell traut man jemandem und läßt ihn ins Herz, nur weil er die richtigen Knöpfe drückt? Natürlich gerät so ein Lügengerüst ins Wanken. Kaum ist eine Klippe gemeistert, lauert schon die nächste. Doch bei all ihren Verführungsversuchen bleiben die kauzigen Einwohner sympathisch und greifbar. Und daß die zuckersüße Postfrau nicht als Lockvogel herhalten muß, ist einfach löblich.
Wer wissen möchte, wie gefrorene Fische an den Angelhaken kommen und wie 100 Menschen an zwei Orten gleichzeitig sein können, der sollte sich groß verführen lassen.
Originaltitel: LA GRANDE SÉDUCTION
Kanada 2003, 110 min
Verleih: Kool
Genre: Komödie
Darsteller: Raymond Bouchard, David Boutin, Rita Lafontaine
Regie: Jean-François Pouliot
Kinostart: 02.12.04
[ Roman Klink ]