Originaltitel: SIR

Indien/F 2018, 99 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Liebe, Poesie

Darsteller: Tillotama Shome, Vivek Gomber, Geetanjali Kulkarni, Rahul Vohra, Divya Seth Shah

Regie: Rohena Gera

Kinostart: 20.12.18

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Die Schneiderin der Träume

Leise Hingetupftes zur verbotenen Liebe

Das Leben meinte es bisher nicht gerade gut mit Ratna, deren Gatte schrecklich früh verstarb, sie ländlicher indischer Tradition folgend quasi auch tötete, verurteilt zum Dasein ohne neuen Mann. Nicht mal Armreife sind mehr erlaubt, die Witwe hat sich darüber hinaus von der eigenen Schwester auf deren Hochzeit fernzuhalten, es könnten ja mörderische Mikrowellen rüberwabern oder sonstiger Unfug … Ratna mußte weg, raus aus dem zermahlenden Regelwerk, ging nach Mumbai. Und geriet vom Regen in die Traufe, der Job als Hausmädchen nimmt ihr gleichermaßen jede Freiheit, sie selbst zu sein. Stattdessen Rund-um-die-Uhr-Dienst für einen jungen Mann namens Ashwin; seine Schwester informiert kurz und bündig, was von Bediensteten zu halten ist: „Bloody Maid!“

In Sachen Sympathieverteilung läßt Regiedebütantin Rohena Gera also offensichtlich keinerlei Spielraum. Vorerst, sei hinzugefügt. Gera stellt, nach Einflüssen befragt, ihrem Erstling Wong Kar-wais IN THE MOOD FOR LOVE patenschaftlich zur Seite (und entschuldigt sich sogleich für solchen Vorstoß), eine Referenz, die natürlich auf recht wackelnden Füßen steht. Aber die von Gera benannten „kleinen Echos“ des Meisterwerks hört man hin und wieder doch. Vor allem beim Brennen der übermächtigen Sehnsucht: eine Totale übers nächtliche Mumbai, ein warmes, nimmermüdes Lichtermeer, eine Einladung, Verheißung. Dazu selbstverständlich Ratnas verzehrender Traum, Modedesignerin zu werden, dessen Verwirklichung sie sich zumindest in Minischritten nähert. Nicht zuletzt scheue Blicke, verstohlenes Betrachten, Andeutungen emotionaler Fallstricke.

Denn wen sollte es ernstlich überraschen, wenn zwei attraktive Menschen, täglich auf engem Raum zusammen, einander plötzlich unabhängig vom Arbeitsverhältnis wahrnehmen, entsprechende Konsequenzen inklusive? Zumal Gera die Waagschalen austariert, beiden Seiten nun nicht unbedingt komplexe Biographien schreibt, das mögen allein schon Genre und Unerfahrenheit verbieten, indes ebenso wenig bloß den knackigen Chef auf die hübsche Mitarbeiterin hetzt (hallo, Hollywood!). Da treffen zwei ziemlich angeschossene Tiere aufeinander, die ständig individuelle Rückschläge verkraften und externen Erwartungen entsprechen müssen, dabei persönliche Bedürfnisse zunehmend aus dem Fokus zu verlieren drohen, was der Story gewisse Allgemeingültigkeit verleiht. Sozusagen ein Plus zu Geras Sinnieren, daß tatsächlich ihr komplettes Umfeld glaubt, Arbeitgeber und Angestellte dürften keine Beziehung eingehen – und niemand wisse irgendeine Begründung dafür zu geben.

Dieses festgetackerte Denken, automatische Nachplappern, das pauschale Abbügeln von etwas, das nicht sein darf! Darum zirkelt DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME, englisch einfach SIR benannt. Ergibt Sinn, weil die deutsche Variante einen gewissen Fluß besitzt, sprachliche Magie, das Weibliche zentriert. Wohingegen der Originaltitel knapp, zackig, militärisch und männlich klingt. Zwei Sichten auf dieselbe Handlung, die sukzessive langsam ineinanderfließen, Grenzen überwinden, wunderbare Szenen erlauben, wie Ashwins Anruf bei Ratna – und seine rührende Sprachlosigkeit. Ihr erstes scheues Lächeln. Das wunderschöne letzte Wort. All jenes macht die unerlaubte Annäherung nachvollziehbar, es geht um keine siedende Glut-Liebe, lärmend aufbegehrend gegen Widerstände, sondern zunächst schlicht zwei Menschen, die sich miteinander verbessern könnten. Echt halt.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...