Alles beginnt 1922, im Sterbejahr des in den Olymp gehobenen Romanciers. Eine vollkommen zu nennende Musik bricht sich mit dem einfallenden Lichtstrahl, der wiederum einem Kamera-Virtuosen nicht entgehen kann. Noch sehnt man hoffnungsfroh: Wird dieser Film zum Sterben schön sein?
Anhand von Daguerreotypien läßt Marcello Mazzarella alias Marcel Proust die Salons der Pariser Aristokratie, Wartesäle seines Lebens, Revue passieren. Dort lustwandeln seine verhinderte Jugendliebe, seine Vorstellung von ewiger Jugend und all die anderen. Die männliche Personnage erscheint zunächst etwas unübersichtlich: Bis auf John Malkovich, der einen gaga Baron mimt, klebt allen Herren ein Oberlippenbart im anämischen Gesicht und hinter der Stirn jene Geisteshaltung, die sich aus Müßiggang und Überdruß ergibt. Nach einem Dutzend
Soireen und dem zweihundertvierundneunzigstem Glas Champagner beginnt die Lebenserinnerung ein wenig zu ermüden. Hinter dem reizvollen Dunstgespinst, wahrgenommen durch den Schleier eines Ästheten, wird eines nicht sichtbar: eine Geschichte. Ein fein gewobenes Rätsel, das eine elegante Lösung findet. Dies gelang seinerzeit Nikita Michalkow mit seinem Film SCHWARZE AUGEN, einer Hommage an Tschechow. Um nun Proust gerecht zu werden, der, auf eine Filmfigur reduziert, einen etwas unbeholfenen Eindruck hinterläßt, wurde auf eine chronologische Erzählweise verzichtet. Stattdessen ein mäandernd dahinflutender Bilderstrom, den das deutsche Feuilleton als "kongeniale" Verfilmung interpretiert, ohne es recht begründen zu können. Ebenso unisono wird auf Schlöndorff herumgehackt, der mit seiner LIEBE IN SWANN vielleicht nicht die beste, aber überhaupt eine der besten Literaturverfilmungen zustande brachte, als er Oskar Blech trommeln ließ.
Um mitreden zu können, sollte man daher schnell noch die 3000 Seiten des Romans lesen (natürlich im Original!), dann beide Filmversionen sorgfältig abwägen, um sich anschließend möglicherweise auf "Die Suche nach der verlorenen Zeit" zu begeben.
Originaltitel: LE TEMPS RETROUVE
F/I 1999, 156 min
Verleih: SchwarzWeiss
Genre: Literaturverfilmung, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Marcello Mazzarella, Emmanuelle Béart, Catherine Deneuve
Regie: Raúl Ruiz
Kinostart: 26.04.01
[ Angela Rändel ]