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Die Wildente

Mit Ibsen durchs Outback

Wie ein norwegischer Dramatiker des 19. Jahrhunderts in die australische Provinz von heute kommt? Auf den Flügeln der Kunst, möchte man antworten – und schweigt doch lieber still. Denn wenn Henrik Ibsens Schauspiel „Die Wildente“ eine wirklich überzeitliche, global gültige Einsicht enthält, dann ist es wohl die Unmöglichkeit, sich über den Boden der eigenen Herkunft, den liegengelassenen Schmutz der Vorfahren, also den Stallgeruch zu erheben.

Christians bisheriges Leben war ein solch vergeblicher Flug- und Fluchtversuch. Vor Jahren ließ er Familie und Freunde in Australien hinter sich, ging in die USA und wäre vermutlich für immer dort geblieben, hätte sein Vater Henry ihn nicht um pflichtgemäße Anwesenheit bei seiner bevorstehenden Hochzeit gebeten. Also kehrt Christian in die Heimat zurück, begegnet der neuen Frau an der Seite seines Vaters höflich, aber reserviert, registriert den Niedergang des einst florierenden Familienunternehmens mit bedauerndem Schulterzucken – und läßt sich ansonsten nicht in die Karten schauen. Auch nicht von Oliver, seinem ehemals besten Kumpel. Der hat jetzt selbst Familie: eine attraktive, patente Ehefrau samt halbwüchsiger Tochter, die gerade die eigene Anziehungskraft auf die Männerwelt testet – mit ersten bitteren Erfahrungen und Verletzungen. Herzlich wird Christian von ihnen aufgenommen und bedankt sich mit schonungsloser Offenheit. Doch was ihn zunächst erleichtert, löst eine ganze Flut tragischer Ereignisse aus, die sich nicht mehr eindämmen läßt.

Der Theaterregisseur Simon Stone erfindet Ibsens Drama um vertuschte Fehltritte, vertauschte Ursachen und verheerende Wirkungen für sein Filmdebüt einfach neu – als gefährlich schwelenden, düsteren Stoff von universeller Bindekraft, auf den man auch ohne literarische Kenntnisse Zugriff bekommt. Fast scheint der alte Norweger mitsamt seiner Sprache, seinen von den europäischen Bürgermilieus des 19. Jahrhunderts geformten Figuren und Konflikten hinter Stones Bearbeitung zu verschwinden.

Denn der emanzipiert sich vom Text, den durch die Bühne gesetzten Bildkonventionen und macht sich frei von jeder Pflicht, im Kino einen Theatersaal nachzubauen. Was aber bleibt, wenn man all das abzieht? Ganz einfach: ein fesselndes, emotional aufreibendes Ensemblestück, das sich seiner Vorlage nicht beugt, sondern sie selbstbewußt weiterträgt.

Originaltitel: THE DAUGHTER

Australien 2015, 96 min
FSK 12
Verleih: Arsenal

Genre: Drama

Darsteller: Geoffrey Rush, Sam Neill, Paul Schneider, Ewen Leslie

Stab:
Regie: Simon Stone
Drehbuch: Simon Stone

Kinostart: 27.10.16

[ Sylvia Görke ]