Originaltitel: UN AÑO, UNA NOCHE
S/F 2022, 130 min
FSK 12
Verleih: StudioCanal
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Nahuel Pérez-Biscayart, Noémie Merlant, Alba Guilera
Regie: Isaki Lacuesta
Frankreichs Kino nahm sich etwas Karenzzeit, um den islamistischen Terror vom 13. November 2015 fiktional zu reflektieren. Zunächst geschah es indirekt, dafür prägnant in MEIN LEBEN MIT AMANDA, in dem der Bruder einer jungen Mutter plötzlich mehr sein muß als der Onkel ihrer Tochter. Sie starb wie 129 andere Menschen in dieser Pariser Nacht, davon 90 im Live-Club Bataclan während eines Konzertes. Hunderte Verletzte gab es dort und auf Straßen, in Bars und Cafés, doch nicht alle Filme gehen an diese Orte zurück. Zwei von vier aktuellen haben zudem literarische Vorlagen, die, durchaus überraschend, von einem deutschen und spanischen Regisseur adaptiert wurden. Was in dicken Lettern über allen stehen kann, ist „Aufklärung.“ Oder „(Post-)Trauma.“ Störungen inklusive. Nach NOVEMBER, MEINEN HASS BEKOMMT IHR NICHT und, hierzulande noch ohne Starttermin, REVOIR PARIS versucht sich ein nächster Streifen am Sensibilisieren.
Im Bataclan waren an jenem Novemberabend über 1500 Menschen, darunter der Spanier Ramón González, der dann ein Buch geschrieben hat und es von Landsmann Isaki Lacuesta so komplex wie psychologisch riskant für die Leinwand umsetzen ließ. Im Deutschen bekommt das Stück den Originaltitel des Romans: „Frieden, Liebe und Death Metal.“ Im Zentrum der Erzählung steht ein junges Paar, das auf höchst unterschiedliche Weise den Terrorereignissen und -nachwirkungen begegnet. Ramón stolpert und stürzt immer wieder, getrieben von Attacken der Panik und Reanimation. Ohne fremde Hilfe wird er es nicht schaffen können. Céline versucht sich, nach außen erstaunlich ruhig, vor allem anderen Menschen gegenüber am Verschweigen und Verdrängen. Doch steter Tropfen höhlt sie aus.
In einer dritten Ebene, dort, wo das Gezeigte vielleicht doch nicht das Erlebte ist, wirft Regisseur Lacuesta einen Stock zwischen die Beine des Publikums. Daß er offensiv mit inszenierten Rückblenden ins Bataclan arbeitet, seinen Charakteren diesen Wahnsinn noch einmal zumutet, macht den Film zu einem am Ende heiklen Unterfangen mit fulminant gespielten, genauen Szenen, aber auch stilistischen Verwirrungen. Der Anfang führte noch auf eine falsche Fährte, denn die gespenstischen Bilder aus dem nächtlichen, fast menschenleeren Paris mit Ramón und Céline, in goldig knisternde Wärmedecken gehüllt, künden von einer besonderen Art Wucht, die sich leider mehr und mehr verliert.
[ Andreas Körner ]