Originaltitel: GAGARINE

F 2020, 98 min
FSK 12
Verleih: Film Kino Text

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Alséni Bathily, Lyna Khoudri, Jamil McCraven, Finnegan Oldfield

Regie: Fanny Liatard, Jérémy Trouilh

Kinostart: 15.08.24

3 Bewertungen

Gagarin

SOS im Hochhaus

Einmal war er wirklich dort und pflanzte einen Baum: Juri Gagarin, als Russe der erste Mensch im Weltall, besuchte 1963 jenen Wohnblock in Ivry-sur-Seine, der nach ihm benannt wurde. Fast 370 Einheiten auf 13 Etagen und 16000 Quadratmetern sollten die Wohnungsnot in und um Paris gerade für sozial Schwächere etwas lindern. Über fünf Jahrzehnte hat es funktioniert, dann gab es Risse, miese Elektrik, Absenkungen, kroch der Asbest aus den Platten des Baus. 2019 wurde gesprengt.

Doch halt! Am Ende wurde gar nicht gesprengt? Vielleicht ist Commander Youri mit dem ganzen Block abgehoben und hat, fern der Erdatmosphäre, eine eigene Umlaufbahn gefunden, höchstens mit Kumpel Houssam und Freundin Diana an Bord. Youri wohnt schon immer in Cité Gagarine und füllt die Leerstellen des Alltags mit Träumen von Galaxien mit ihm als Nachbar des Mondes. Die Mutter ist weg und will den vaterlosen 16jährigen nachholen, wenn ihr nächstes Leben beginnt. Bis dahin aber wird Youri retten, was nicht zu retten ist. Der gewiefte Bastler repariert Aufzüge, organisiert Leuchtstoffröhren und Relais, will unbedingt verhindern, daß sein Haus abgerissen wird. Es hängen schließlich viele Biographien daran. Doch irgendwann ist er allein in der Cité – aber mit grüner Lunge.

Bis zum finalen SOS per Lichtsignal, einer der eindrucksvollsten Alarmrufe des jüngeren Filmkanons, entwickelt das Regie-Duo eine so wundersame wie allegorische, schwebende wie erdverbundene Adoleszenzgeschichte, die mutig mit Genres spielt und den oft eher aggressiven, ja, betont giftigen Banlieue-Jugendfilmen der Franzosen eine so überraschende wie verträumte Note entgegensetzt.

[ Andreas Körner ]