Originaltitel: GLORIA!

I/CH 2024, 111 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Musik

Darsteller: Galatéa Bellugi, Carlotta Gamba, Veronica Lucchesi, Maria Vittoria Dallasta

Regie: Margherita Vicario

Kinostart: 29.08.24

1 Bewertung

Gloria!

Sisters Are Doin’ It For Themselves

Wer weiß, vielleicht ist Margherita Vicario auch noch Malerin oder Architektin, ein Multitalent unbezweifelt: Die Mimin und Musikerin weist ein Studium der Dalcroze-Rhythmik vor, widmete ihre Bachelor-Arbeit Brechts politischem Theater, tritt nun erstmals als Regisseurin und Drehbuchautorin auf. Wobei sie einen der beiden neuen Jobs wesentlich besser bewältigt.

Sant’Ignazio nahe Venedig anno 1800. Papst Pius VII. kündigte seinen Besuch an, das örtliche Konservatorium für Waisenmädchen rotiert, vor allem Maestro Perlina schwitzt. Der ausgebrannte Kapellmeister soll ein Ehrenkonzert komponieren, krampft sich einzelne Noten ab, kommt nicht voran. Andererseits hat Schülerin Lucia schon eine komplette Partitur verfaßt und sieht Chancen zur Aufführung, derweil Magd Teresa, stumm, die Welt als Musical wahrnimmt. Vicario animiert’s dazu, aus alltäglicher Arbeit eine höchst entzückende Choreographie zu zaubern, bei deren Ansicht man sich wundert: ein Regiedebüt, wirklich?

Jenes Staunen bleibt filmüber erhalten, Vicario inszeniert wie ein erfahrener Profi, kitzelt aus beredter Bildsprache und Gefühl für Licht exzellente Optik, läßt tollen Darstellerinnen Spielraum und den natürlich großteils selbst komponierten, manchmal fast transzendent anmutenden Soundtrack durch luftige Musikräume schweben. In Sachen Skript stehen ihre Bemühungen hingegen auf bloß soliden Füßen, beileibe nicht schlecht, aber über Deutlichkeiten stolpernd. Keine Frage, daß sich die Damen nach anfänglichen Zickereien unter tatkräftiger Mithilfe eines Klaviers bald eisern verbünden, gehört zum guten feministischen Ton – weshalb jedoch auf Nummer sicher das Mannsvolk in tragenden Rollen sämtlich unsympathisch karikieren? Wie paßt Suizid aus Liebeskummer zur weiblichen Eigenbestimmung? Und warum entgleiten häufig Andeutungen zur auserzählten Erläuterung?

Vicario hakt inhaltlich ab, was sie aus Genresicht nötig zu finden scheint, während gleichzeitig ihr feiner Blick vielerlei Details erlaubt, Teresas Fingernägel standesgemäß voller Dreck kleben oder sich Kerzenflammen im Takt wiegen. Das zeigt wieder echte Bravour, genauso modernes Öffnen der schwülstig-schweren Kirchenklänge. Gerade im Finale, einer Art Befreiungsschlag à la Rondò Veneziano mit wildem Tanz auf dem Grab des alten weißen Mannes, knistert reine, pure Energie. Demnächst bitte mehr davon …

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...