Originaltitel: GREEN BOOK
USA 2018, 130 min
FSK 6
Verleih: Entertainment One
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini, Don Stark, Sebastian Maniscalco
Regie: Peter Farrelly
Kinostart: 31.01.19
Auf die Gefahr hin, sofort zu Beginn eine riesige Desinteressenslücke aufzureißen: Ja, es stimmt – bei unserem Film des Monats führte Peter Farrelly Regie. Zusammen mit seinem Bruder Bobby verantwortlich für cineastische Sparmenüs Small, deren Titel teils alles sagte, was drüber zu wissen war, darunter DUMM UND DÜMMER oder KINGPIN, wobei der Nachklapp ZWEI TROTTEL AUF DER BOWLINGBAHN zählt. Ein Duo, 1998 so VERRÜCKT NACH MARY, daß Magdas folierte Hängebrüste oder Teds Kampf Penis vs. Reißverschluß noch Jahrzehnte später Pubertierende schocken. Sakrament! Sind wir verrückt geworden?! Nun, durchaus nicht. Vielmehr hat Farrelly, der Ältere geschwisterliche Unterstützung fliehend etwas abgeliefert, das US-Medien bereits „ein Film wie kein anderer“ oder „einer der besten Filme der Dekade“ nennen. Ach, Kritiker, Meister der Übertreibung! Oder?
Fraglos mag das Sujet einigen Einfluß ausüben, entführt uns, zunächst unschuldig, in zumindest musikalisch weitaus bessere Zeiten, konkret New York anno 1962. Ein paar Takte nur, dann wehen die Swingin’ Sixties herüber, am Trommelfell vorbei Richtung Fuß, beseeltes Wippen, großartig. Obwohl man stundenlang lauschen mag, los jetzt, den geistigen Hintern gehoben und weiter. Wir treffen Italo-Amerikaner Tony, vorübergehend arbeitsloser Türsteher, dessen Dunstkreis jede Menge Beschimpfungen für dunkelhäutige Menschen kennt: Mohrenkopf, Schoko, Kohlensack, Bimbo. Ausgerechnet einen solchen „Onkel Tom“ soll Tony auf dessen achtwöchiger Konzerttournee rumfahren, namentlich den Starpianisten Dr. Don Shirley. Vorhersehbar, was da passiert, von Ablehnung zur Annäherung, altbekannt?
Klar. Und nein. Weil diese wahre Geschichte zwar sicher irgendwie „Mister Don und sein Chauffeur“ spielt, spiegelverkehrt indes. Hier der umfassend gebildete, auch arrogante Schwarze, dort ein auf Intellekt gänzlich verzichtender weißer Extremplapperer. Fleckige Unterhemden tragendes Riesenbaby, dessen Zunge Nistplatz seines Herzens ist, kutschiert stocksteifen Schweigsamen. Zwei höchst sympathische Eigentlich-Unsympathen, denen Farrelly ausgeglichen nichts schenkt, sondern weiß: Wer oft genug wie ein Arschloch behandelt wurde, mutiert letztlich eben selbst zu einem – Tony löst auftauchende Probleme allein mittels Faustkraft, Don hingegen nimmt sich einfach heraus, den schwer auszusprechenden Nachnamen Tonys ändern zu wollen.
Eine Konstellation, welche Farrelly anpackt, kräftig schüttelt und draus den grundlegenden Krisenherd auf die Leinwand plumpsen läßt: Beide Männer halten sich für überlegen, Don aus dem denkenden Zuschauer verständlichen Gründen, Tony schlicht wegen festgetackerter Vorurteile. Resultat: die in wechselseitiger egozentrischer Herrlichkeit verweigerte Erkenntnis, was voneinander zu lernen wäre. Doktor Don könnte Tonys offenen Mutterwitz brauchen, und umgekehrt käme das Aneignen gewisser Diplomatie gelegen. Ganz zu schweigen von Anflügen verbaler Kompetenz, beispielsweise schriftlicher Art, schwärmen doch Briefe an die daheim zurückgelassene Strohwitwe hauptsächlich über Bewährtes wie Natur und Ernährung.
Womit Farrelly nebenbei ein zeitloses Loblied auf den Mut zur persönlichen Veränderung singt. Logisch, der weltfremd-verschlossene Don taut auf, gewärmt vom derb-forschen Tony, hinreißend knackige Wortgefechte klirren, wundervoller Witz sprenkelt Szenenblöcke. Und bevor jemand den Zeigefinger zwecks moralischer Wedelei erhebt: Natürlich darf Farrelly zu Humor greifen, ernste Themen verlieren bei lockerer Präsentation nicht automatisch an Tiefe, Unterhaltungswert bedeutet keinen spontanen Kraftverlust.
Wer trotzdem dramatische Basics braucht, bekommt sie, rassistisch motivierte Affronts bis zum brutalen Übergriff sollten reichen. Farrelly kennt und akzeptiert die Kino-Mechanismen, nutzt sie als Fundament viel spannenderer Architektur, heutzutage wieder aktueller denn je.
Sein Zauberwort heißt Respekt. Nicht ausschließlich das bestenfalls farbenblind agierende Gegenüber meinend, gleichsam davor, daß Seelenschatten zum Überspringen ohne Hilfe häufig zu lang sind, weshalb sich extern hervorgerufene Isolation manchmal eigenverschuldet potenziert. Was Aufgeben aber nicht zur akzeptablen Option befördert.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...