Originaltitel: YOU WILL MEET A TALL DARK STRANGER

GB 2010, 98 min
FSK 0
Verleih: Concorde

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Josh Brolin, Naomi Watts, Anthony Hopkins, Gemma Jones, Freida Pinto, Antonio Banderas

Regie: Woody Allen

Kinostart: 02.12.10

16 Bewertungen

Ich sehe den Mann Deiner Träume

Von verbissener Ambition, helleren Zähnen und dem Blick in die Glaskugel

75 wird er einen Tag vor dem deutschen Kinostart seines 41. Films. Das sagt erst einmal nicht so viel, wenn man aber nahezu alle unverzichtbaren Woody-Allen-Filme gesehen hat und dann diesen noch dazu – dann sagt das plötzlich eine Menge, vor allem etwas, was sehr viel mit Traurigkeit zu tun hat. Denn was wäre, würde Woody doch nicht 100 Jahre alt? Wie sollte das zeitgenössische Kino ohne diesen eigentümlichen Misanthropen, diesen Neurosengärtner und Psychosenzüchter denn überdauern? Es kann nur furchtbar werden! Nie wieder würde im Kino derart gelacht werden können über all die wundersamen Hypochonder, Lebenszweifler und Liebesnarren, die sich trotz ihrer katastrophalen Ungebremstheit und manchmal schmerzlichen Gutgläubigkeit in die Herzen empfehlen. Nie wieder ...

Also nun mal Stop! und ein kräftiger Tritt auf die Dramabremse, denn erstens ist Woody ja noch da, und zweitens, wie er es ist, und deswegen muß man sich diesen Film ansehen, lachen, gerührt sein, etwas hüsteln – weil hier eben manchmal das Lachen dann doch im Halse steckenbleibt, da Woody Allen diesmal kaum einem seiner Helden die Chance auf ein halbwegs heiles Davonkommen vergönnt. Dem ambitionierten, aber erfolglosen, dann gar kleinkriminellen Möchtegernbestsellerautor Roy nicht, dessen Gattin Sally gleich gar nicht, die sich doch so sehr an den Brustkorb ihres Galeriechefs sehnt, und auch nicht Sallys Vater Alfie, der sich von Gattin Helena trennte, weil diese sich dem Alter überließ, und der sich nun mit frischerem Teint, helleren Zähnen und windschnittigerem Auto recht peinlich gegen die Schwerkraft wehrt, weshalb bald an seiner Seite (kurz darauf auch durch einen Ring besiegelt) so ein blondes, deppertes Lutschmäulchen aufschlägt, wie wir es in manch früherem Allen-Film schon kennenlernen durften.

Krise! schreit es aus allen Ecken, und selbst Helena, die wohlgemerkt nur deshalb noch am besten wegkommt, weil Woody Allen (vielleicht doch ein wenig altersmilde) über die Naiven nicht mehr ganz so hart richtet, läßt sich in ihrem Schmerz von einer Wahrsagerin das Geld aus den Taschen ziehen. Und weil Woody ist, wie er ist, packt er schmissige Bläser über all diese galligen Beobachtungen, daß man versucht ist, trotz der sich mit stolzer Brust in alle möglichen Abgründe stürzenden Figuren, in manchem Moment schlichtweg zu juchzen. Auch weil der Ausnahmekomödiant einmal mehr einen Spitzenplatz im Marathon der Giftpfeilsätze belegt, weil Allen es wiederum wie kein Zweiter versteht, all die vielleicht kleinen Unzulänglichkeiten ins dann Schicksalhafte zu transformieren und dabei seine am Leben verzweifelnden, mit grenzwertigen Machenschaften tricksenden und sich einfach nach etwas und wen Besseres sehnenden Figuren dann doch als das im pulsierenden London stehenzulassen, was sie nun mal sind: Menschen. Und die haben allerhand Ängste, Pathos, Dummheit, Sherry und manchmal eben auch Viagra und einen gehörigen Klaps im Gepäck.

ICH SEHE DEN MANN DEINER TRÄUME ist der wahrscheinlich anrührendste und auf eigenwillige Art düsterste Film Allens, weil er einmal mehr zeigt: Man kann nicht vor sich selbst fliehen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.