Noch keine Bewertung

Kleine Freiheit

Illegal auf der Reeperbahn

La Paloma, ade! Nicht dem blonden Hans, sondern einem brünetten jungen Kurden folgt der deutsch-türkische Regisseur Yüksel Yavuz über den Hamburger Kiez. Keine glitzernde Halbweltromantik umgibt Baran, sondern Allerwelts-Migranten-Alltag. Pünktlich zum 16. Geburtstag ist seine Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen, der Asylantrag abgelehnt. Von nun an ist er illegal. Bekannte helfen, nicht immer ganz uneigennützig. Für einen Imbißbesitzer radelt der Junge durch St. Pauli, liefert Döner aus und schnappt hinter Wohnungstüren Dramen auf. Eine Kamera, die ihm irgendein Junkie überließ, ist mal Stenograph dieser Begegnungen, mal Abspielgerät für kurze Videofetzen aus der türkischen Heimat.

Barans Zusammentreffen mit einem anderen Illegalen, dem gelbschöpfigen Schwarzafrikaner Chernor, ist einer der wenigen Ausblicke, die Yavuz dem großäugigen Fahrradkurier eröffnet. Wie unter Halbwüchsigen üblich, setzt die Freundschaft merkwürdig unvermittelt ein. Sie hält um so trotziger, je deutlicher sie von den jeweiligen Parteigängern abgelehnt wird - Multikulti stößt auch hier auf Argwohn.

Die etwas holperige Sprache warfen Kritiker den beiden Jungen und ihrem Regisseur vor. Aber hier nähern sich zwei, die eigentlich nicht viele Worte machen, die ihr Vokabular aus kulturellen und gesellschaftlichen Nischen zusammensuchen. Wirklich ins Stolpern kommt Yavuz’ Erkundung dieses innerstädtischen Subkontinents, weil über ihm das gesamte Problembewußtsein des engagierten Filmemachers wie ein dichter Nieselregen niedergeht: Drogen, die PKK, der Tod eines Obdachlosen, eine Bosnierin und schließlich ein Neuankömmling aus der Türkei, in dem Baran den Verräter seiner ermordeten Eltern erkennt.

Yavuz spielt seiner erst beginnenden Geschichte einer Freundschaft, aus der auch Liebe werden könnte, eine Pistole zu - ein waghalsiger dramatischer Überschlag. Fast zu riskant für einen Film, der in Titel und Inszenierung ansonsten so wohltuend bescheiden auftritt. Die nüchternen Momente sind die klügeren: Glaubhaft bilden sie den verborgenen Schaltplan von Schattenexistenzen ab, in dem Schlenderschritte ganz schnell in Fluchtbewegungen umschlagen können - spätestens, wenn die Polizei auftaucht.

D 2003, 99 min
Verleih: b.film

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Çagdas Bozkurt, Leroy Delmar, Nazmi Kirik, Suzana Rozkosny

Stab:
Regie: Yüksel Yavuz
Drehbuch: Yüksel Yavuz

Kinostart: 27.05.04

[ Sylvia Görke ]