Die Gerüchte rascheln. Wie die Roben der Damen oder die Blätter der Bäume im Park. Eine flüsternde Aufregung mit vorgehaltener Hand, ein Vibrieren und Zittern herrscht hinter der Fassade des königlichen Prunks im Schloß von Versailles. Habt ihr die Neuigkeiten schon gehört, fragt die eine Stimme. Ich hab’ nur das Wort „Bastille“ verstanden, antwortet eine andere. Am Himmel steht dazu die Sommersonne. Es ist Juli. Man schreibt das Jahr 1789.
Als LEB WOHL, MEINE KÖNIGIN! die diesjährigen Filmfestspiele in Berlin eröffnete, waren die Reaktionen höflich verhalten bis frostig. Opulent ja, aber auch zu gediegen und anämisch breite sich dieses Drama auf der Leinwand aus. Und tatsächlich pflegt Regisseur Benoît Jacquot den Tonfall der Verhaltenheit. Eine atmosphärische Innenschau ist sein Film. Ein Blick hinter besagte Fassaden, Kammerspiel im Königspalast. Ein Sittengemälde, das jene ersten, feinen Risse betrachtet, die sich auftun in einer Welt, die bald im Schlund der Geschichte verschwinden wird. Eine Welt, die zu ahnen beginnt, daß sie dem Untergang geweiht ist.
Jacquot zeigt das durch die Augen der jungen Sidonie, Kammerzofe und Vorleserin bei Marie Antoinette und dieser in Treue ergeben. Die Launenhaftigkeit ihrer Königin erträgt Sidonie so geduldig, wie sie die Gesten der Zuneigung und des Vertrauens genießt. Sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen, hat Sidonie bald Gelegenheit. Der Sturm auf die Bastille, eine auch in Versailles kursierende Todesliste, an deren Spitze der Name der Königin steht, der Hofstaat, der nach und nach die Flucht ergreift – ja, diese Welt ist in Auflösung. Und inmitten dieser denkt Marie Antoinette vor allem nur an die Eine: Ihre Geliebte Gabrielle de Polignac, die es zu retten gelte. Sidonie fällt dabei eine Rolle zu, die für sie lebensgefährlich werden könnte.
Über vier Tage entspinnt Jacquot sein Szenario. LEB WOHL, MEINE KÖNIGIN! gleitet zwischen luxuriösen Raumfluchten in Rokoko und den beengten Zimmern der Dienerschaft hin und her, zeigt sich als ein Film erlesener Kompositionen und der runtergedimmten Emotionen. Das Drama bleibt leise. Anämisch? Ja, auch. Aber darin perfekt passend zu dieser Agonie in Luxus, zu diesem Abgesang, gehüllt in Kostüm und Interieur, in Plüsch und Seide. Das Gedämpfte dieses Untergangs gibt ihm seine Authentizität. Künstlichkeit heißt hier durchaus Realismus.
Originaltitel: LES ADIEUX À LA REINE
F/Spanien 2011, 100 min
FSK 6
Verleih: Capelight
Genre: Drama, Historie
Darsteller: Lea Seydoux, Diane Kruger, Virginie Ledoyen
Regie: Benoit Jacquot
Kinostart: 31.05.12
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.