Oft sieht man Heidemarie Schwermer an, daß sie es müde ist, immer wieder auf die selben Fragen festgenagelt zu werden. Sie lebt seit 14 Jahren ohne Geld. Das ist ihr Lebensexperiment, und sie betreibt es allumfassend. Nur will kaum jemand wissen, wie sich das anfühlt für sie, oder was Reichtum jenseits von Besitz für sie bedeutet. Man will wissen, wo sie denn wohnt, ohne Geld, und woher sie denn dieses elegante rote Kleid hat. Wie eine seltene Zirkusattraktion wird sie in den Fernsehshows vorgeführt, in die sie eigentlich nur geht, um ihre Botschaft weiterzugeben: Daß es kein Geld braucht, um in dieser Welt zu leben. In einer Überflußgesellschaft ist schon alles da. Die 68jährige ist überzeugt, daß unser Geldsystem sowieso bald zusammenbrechen wird; besser schon jetzt Einschränkung und Tausch praktizieren. So als Übung für den Ernstfall.
Die Filmemacherin Line Halvorsen begleitet Schwermer auf den zahlreichen Reisen, die sie unternimmt, um Workshops zu geben, Vorträge zu halten. Die Fahrkarten zahlt der jeweilige Veranstalter, und ja, ab und an gibt sie selbst ein wenig Geld für eine Fahrt aus. Und zum Wohnen wird sie eingeladen oder hütet leere Häuser. Als Gegenleistung bietet sie ihre Freundschaft, ihren Rat als ausgebildete Psychologin und Haushaltshilfe. Die Filmemacher experimentieren nicht mit ausgesuchten Bildern, sondern praktizieren sehr klassisch das Fliege-an-der-Wand-Prinzip. Das erlaubt ihnen, Momente des Glücks festzuhalten, wenn beispielsweise in freundschaftlicher Runde der aus Marktabfällen zusammengesammelte Salat genossen wird.
Sie sind auch dabei, wenn es zu Unstimmigkeiten kommt, weil Heidemarie ihren Aufenthalt bei einer Freundin eher beendet als geplant. An solchen Stellen hätte man noch nachhorchen können: Wird hier unterschwellig ein Anspruch deutlich, der darauf fußt, daß der eine vermeintlich doch mehr gibt? Ich öffne Dir seit Jahren mein Haus, bewirte Dich, und Du gehst dann einfach, wann es Dir paßt? Wie sagt man sich in Herz und Kopf von materiellen Meßmechanismen (auch in ganz privaten Beziehungen) los, in einer Gesellschaft, die den Menschen nach seinem Status anerkennt und die Arbeit über den geldwerten Lohn? Wie kann man seinen Wert – auch für sich alleine – ganz klar formulieren, jenseits von allem weltlichen Besitz?
Viele belächeln deshalb die alte Dame und ihr Lebensideal, für andere ist sie eine Hoffnung, ein Vorbild. Aber vor allem ist sie eine spannende Frau, der man gerne zuhört. Und man wünscht ihr für die Zukunft ein Publikum mit neuen Fragen.
Originaltitel: LIVING WITHOUT MONEY
NL 2010, 52 min
FSK 0
Verleih: Eigenverleih
Genre: Dokumentation
Regie: Line Halvorse
Kinostart: 26.07.12
[ Susanne Schulz ]