Alexis Dos Santos ist einer der noch recht jungen Filmemacher, die es zweifellos verstehen, richtige Geschichten zu erzählen, ohne daß man dann aber dem besten Freund in drei Sätzen berichten könne, worum es eigentlich geht. Das liegt nicht am Unentschiedenen des Plots, keinesfalls, das liegt daran, daß der Argentinier eher der Dramaturgie einer Gefühlslage als der einer klassischen Erzählung folgt, weshalb seine Ausführungen ziemlich nah dran sind – am Leben nämlich. Und dieses erkläre mal einer in drei Sätzen ... Dos Santos ist ein präziser Beobachter, einer, der sich nur behutsam einmischt, der mit dem Mittel einer fast dokumentarischen Poesie seinen suchenden Figuren freien Lauf läßt, was richtig ist, weil es – eben wie so oft im Leben – um Liebe geht. Und da dreht sich die Suche durch den Mentor Zufall rasch ins Finden, so auch hier.
Drei junge Menschen stehen im Zentrum dieses filmischen Augenblicks, denn genau so flüchtig ist die Jugend doch. UNMADE BEDS ist indes der charmantere Originaltitel, weil der Hauptheld Axl für sich durchrechnet, in wieviel verschiedenen Betten er schon geschlafen hat, bedingt durch Umzüge, Wurzellosigkeit, Familienzwistigkeiten. Was ist denn nun besser – jeden Tag in einem neuen Bett oder ein Leben lang im gleichen aufzuwachen? London, die Stadt, in der Axl gerade lebt, und wo er auf der Suche nach seinem leiblichen Vater ist, beantwortet diese Frage, und wird dem sich selbst entdeckenden Jungen mit dem schönen Mund und den großen Augen auf seiner Suche die richtigen Aufschlüsse geben: Es werden daher einige Betten und einige Menschen sein, in und neben denen er aufwacht, unabhängig von Geschlecht und Alkoholpegel. Eine Suche übrigens, auf der sich auch Vera und der geheimnisvolle Röntgenmann befinden ...
Alexis Dos Santos ist keiner, der nur behauptet, etwas von Jungsein zu verstehen, er weiß noch ganz genau, wie es sich anfühlt. Das macht seinen Film so ehrlich, das war schon bei GLUE so. Auch da spielte Musik wie hier eine übergeordnete Rolle, auch da waren die Helden nicht so modern aufgemotzt, daß sie immer nur in Schlagwörtern kommunizierten. Überhaupt ist die Kommunikation zwischen den Figuren eine sehr sympathische, geerdete: In LONDON NIGHTS lernen sie sich nämlich nicht über die allerletzte Notstation Internet kennen, da werden noch mehr Fragen gestellt als Antworten herausgeschlaumeiert, da greift der romantische Haudegen Dos Santos zu wunderschönen Old-School-Mitteln: das Austauschen von Geheimnissen, das schrullige Schießen von Polaroidfotos, das Auflegen knisternder Schallplatten. Wenn es auch am Ende nur eine Hitsingle von Ricci e Poveri ist ...
Überhaupt fügen sich Form und Gefühl der Geschichte wunderbar: In Gegenüberstellungen von Gegenwartsaufnahmen und grobkörnigen, aber durchaus lebendigen Rückblenden wird von der großen Sehnsucht erzählt, die man zwangsläufig für Vergangenes empfindet, und die viel über die Unsicherheit der Zukunft erzählt. Denn auch wenn gemeinhin gilt, daß Angst ein schlechter Berater ist, kann sie durchaus auch Antrieb sein. Es bleibt jungen Menschen doch ohnehin kaum anderes übrig, nachdem Regierungen, Institutionen und auch die Eltern ihre Schützlinge ohne Protektion in oft fragwürdige Bestimmungen zwingen. Deswegen sind Axl, Vera und der Röntgenmann vorsichtig genug, um nicht gleich zu viel von sich zu verraten, denn sie ahnen bereits, daß wir alle am Ende allein sind.
Aber bis dahin kann man sich den Weg ja versüßen, das Leben lieben lernen und vor allem auch Fehler auf der Suche machen. Bis man eines Tages dann vielleicht im richtigen Bett aufwacht ...
Originaltitel: UNMADE BEDS
GB 2008, 93 min
FSK 12
Verleih: Kool
Genre: Drama, Liebe
Darsteller: Fernando Tielve, Deborah François, Michiel Huisman
Regie: Alexis Dos Santos
Kinostart: 19.08.10
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.