Originaltitel: OMSORG PA RECEPT

DK/D 2021, 100 min
FSK 0
Verleih: Weltkino

Genre: Dokumentation

Regie: Louise Detlefsen

Kinostart: 23.09.21

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Mitgefühl

Halbmast für alle

Die Dänen und ihre Fahnen! Natürlich. Essentiell. Es verwundert also nicht, daß auch im Garten von Dagmarsminde eine zumeist kräftige Brise den rotweißen Flatterstoff bewegt. Wenn jemand stirbt, wird er auf halbmast gesetzt, staatstragend muß die oder der Gegangene keineswegs gewesen sein. Halbmast gilt für alle. Dagmarsminde ist ein privat geführtes Pflegeheim. 2016 ließ May Bjerre Eiby eine alte Tischlerei in Graested umbauen und erschuf so einen letzten schönen Lebensort für bis zu zwölf an Demenz erkrankte Frauen und Männer über 80. Manche ziehen als Ehepaar ein oder kommen, kaputt vom Betreuungssystem, aus anderen Häusern. Mays Vater sei in einem Heim an „schwerer Vernachlässigung“ gestorben, sagt die Enddreißigerin. Diese Erfahrung hatte die Krankenschwester geweckt, sie erwarb ihren Master in Krankenpflege und entwickelte ein eigenes Pflegekonzept, basierend auf „Mitgefühl als Behandlungsmethode.“ Zuwenden und berühren, respektieren, reden und umsorgen. Halbmast ist ein Teil davon. Sie leben mit- und umeinander in Dagmarsminde. Ihre Medikamente wurden ab- oder auf ein Mindestmaß heruntergesetzt. Es gibt Tiramisu und Portwein, der Gemeinschaftsraum ist groß, hell, freundlich. Eine Katze schwänzelt um müde Pantoffelbeine, Trolle, der Hund, liegt an der Tür. Wen die Füße noch tragen, holt Eier aus dem Hühnerstall. Obwohl ihre Pfadfindertage längst vorbei sind, sitzen sie am Feuer, umarmen Bäume und jenen, die auf finaler Reise sind, wird ein Lied gesungen. Der Sarg steht noch kurz im Raum.

MITGEFÜHL berührt auf wuchtige Weise. Weil es kein schaumlippiger Debattenfilm ist, sondern Kino meint. Weil er Fragen und Fakten, Anklagen und Mahnungen ins freiwillige Nachhaken verlagert. Weil er nicht verklärt und den Humor eines speziellen Alltags nicht verbietet. Die erfahrene Dok-Regisseurin Louise Detlefsen hat in Dagmarsminde in erster Instanz beobachtet, auf Details bedacht, Farben, Töne, Regungen, Menschen als Teil der Natur, Tod als Teil des Lebendigen. Als die Kamera weg war, ging es dort genauso weiter. Das Publikum will nichts anderes glauben. MITGEFÜHL ist für alle, die May, Dorte und Lotte heißen oder auch nicht, aber pflegen, vielleicht als Tochter oder Sohn. Für alle, die Vibeke, Torkild, Grete, Jorgen, Inger heißen oder hießen oder ganz anders, aber alt waren und oft dement. Für jene, die es sind. Und es werden.

[ Andreas Körner ]