Originaltitel: NOCTURNAL ANIMALS

USA 2016, 115 min
FSK 16
Verleih: Universal

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon

Regie: Tom Ford

Kinostart: 22.12.16

9 Bewertungen

Nocturnal Animals

Hochglanz und geronnenes Blut

Eigentlich hat sich Tom Ford mit seinem Erstling ein echtes Ei gelegt, wie man so sagt. Wer einst A SINGLE MAN sah, ach was, wer diesen in jeder Pore hochästhetischen, herzblutigen Film erfuhr, dem war klar, daß Ford so etwas kein zweites Mal gelingen würde – auf solchem Niveau von fragiler Liebe und bitterer Endlichkeit zu erzählen. Nun, es zogen ein paar Jahre ins Land, und womit wartet das Schlitzohr Ford auf? Mit einem in jeder Pore hochästhetischen, unfaßbar schönen und häßlichen, stylishen und abgeranzten, sehnsuchtsvollen und hinterfotzigen Film, der von vergangener Liebe, Scham und Rache erzählt. Und wie er dies tut! Klar, mit durch und durch erlesenen Bildern, Interieurs und Kameratänzen komponiert Ford auch hier, aber er wagt das Halsbrecherische, indem er Genres verrührt, aus der edlen Kulisse einer sich totlaufenden Beziehung in Upper-Class-Lofts hinein in verdreckte B-Movie-Pfützen, um von Einsamkeit, Verletzung und eben Vergeltung zu erzählen.

Der Kniff, den Ford dazu wählt, ist eine Reise in Susans Vergangenheit, ein postalischer Gruß aus dieser, denn die erfolgreiche, aber mit allem hadernde, durch die Fremdgeheskapaden ihres jetzigen Ehe-Beaus verunsicherte Galeristin, erhält Post, einen Vorabdruck des neuen Buches von Edward, ihrem Ex. Titel der Lektüre, in die sie sich stürzt, und aus der sie kaum noch in die Realität findet: „Nocturnal Animals.“ Die Geschichte, die sich in den Fahnen von Edwards Roman auftut, ist eine brutale, in ruppigsten Charles-Bronson-Tönen gerotzte Ballade vom verletzten Mann, der hier Tony heißt, nach Vergeltung giert, nachdem skrupellose Typen seine Frau und Tochter vergewaltigten und töteten und ihm den Lebenssinn raubten. Wenn Ford nun diese konträren Welten verschmelzen und Tony wie Edward aussehen läßt, dabei Susan kaum zurück in ihren cleanen Kosmos findet, dann klimpert die David-Lynch-Tastatur, was aber gar nichts Epigonenhaftes hat. Man spürt Fords Lust an der Verwirrung der Handelnden und uns Zuschauenden, sein Vexierspiel hält bis zum Schluß die Schwebe, wir haben einfach keine Ahnung, wohin uns der Erzähler führen will! Und sind doch wie Susan einem Sog verfallen, aus dem ein Entkommen schwierig, wenn nicht unmöglich scheint. Wir werden Teil von Susans Schlaflosigkeit, uns schwirrt mit ihr der Kopf, es gibt kein unsichereres Terrain als die Logik.

Dabei stellt Ford, frei von jeder Pädagogik, auch die richtigen Fragen: Warum tut man Dinge, obwohl man sie nicht mag? Warum folgt man (literarischen) Figuren, obwohl sie in der gleichen Scheiße wie man selbst stecken? Und wie nebenher und fast schon selbstkritisch wird die Oberflächlichkeit der Moderne angegangen, obwohl Ford ja bekanntermaßen als Modemacher maßgeblicher Teil davon ist.

NOCTURNAL ANIMALS zeigt vieles, wenn nicht alles, was Kino vermag. Ford bündelt seine Probierwut in Stimmungen, Motiven, Klangfarben und Genreversätzen, verdichtet sie zu einem adrenalin- und blutgetränkten Exkurs in seelische, emotionale und charakterliche Abgründe, über die wir aus sehr guten Gründen einfach mal so drübergehen. Ihm gelingt bei allem Hochglanz und geronnenem Blut ein behutsamer Umgang mit den Mitteln, so daß trotz der Opernhaftigkeit, der optischen und erzählerischen Wucht Fords Hauptmotiv nicht verschüttgeht: unwiderufliche Schuld, die nur mit schwerer Demütigung zu begleichen ist.

Es wäre geradewegs perfide, über NOCTURNAL ANIMALS zu viel zu verraten, Ford tut dies auch nicht, bis zur gallebitteren Schlußszene. Nur so viel: Susans Kleid mußte grün sein – als Symbol einer profunden, schmerzlichen Katharsis.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.