D 2019, 127 min
FSK 16
Verleih: DCM

Genre: Drama, Mystery

Darsteller: Nina Hoss, Adelia-Constance Giovanni Ocleppo, Katerina Lipovska

Regie: Katrin Gebbe

Kinostart: 24.09.20

1 Bewertung

Pelikanblut

Raya tobt

Die Kinder der Pelikanmutter sind tot, doch sie gibt ihnen eigenes Blut und damit neues Leben. Wiebke Landau ist fasziniert vom ihr bis dahin unbekannten religiösen Motiv auf einem Wandbild. Auch verstört, ein wenig. Sie, Mitte 40, ist in Bulgarien, um ihre zweite Adaptivtochter abzuholen. Neben der 9jährigen Nikolina ergänzt bald die vier Jahre jüngere Raya das familiäre Trio ohne Vater, ohne Mann. Doch es gibt Probleme.

Die – was sonst? – überwältigende Nina Hoss tritt aus den ersten Bildern von PELIKANBLUT, als sei sie noch im deutschen Western GOLD. Mit Cowboyhut und Stiefeln, Pferden in der Nähe und einer malerischen Landschaft um sie herum. Alternierend zum Hauptstrang entfaltet sich das Tableau einer Reiterstaffel der Polizei, die auf Wiebkes Reiterhof ausgebildet wird, gipfelnd in der nahen Gelassenheitsprüfung eines besonders schwierigen Vierbeiners mit einer besonders ambitionierten Reiterin. Faszinierend ist das! Bislang ungesehen!

So kraftstrotzend und energisch Wiebke in ihrem Beruf aufgeht, so zugewandt ist sie ihren Kindern gegenüber. Mit Nikolina ist sie schon ein Team, mit Raya wird sie auf extreme Weise ringen müssen. Das engelsgleiche Äußere der Kleinen verweist fast zwingend auf die dunkle Seite ihrer Seele. Was mit einer Küchenrangelei um Eierkuchen und Ketchup noch spielerisch aufgelöst wird, erklimmt nach und nach nächste Stufen: Feuer, Messer, Schreie, Ängste, Übergriffe, das kinderpsychologische Attest über eine Verkümmerung in Rayas Kopf. Das alles klingt nach SYSTEMSPRENGER 2.0.

Doch es ist ein Katrin-Gebbe-Film. Nach TORE TANZT, diesem exponierten Beitrag zur Gattung „Kino extrem“, arbeitet die Regisseurin ein nächstes Mal mutig mit Versatzstücken verschiedenster Genres, die den Realismus konsequent unterminieren, PELIKANBLUT trotzdem nicht vollends in einen reinen Mystery-Thriller geleiten oder gar zum esoterischen Budenzauber verkommen lassen. Wenngleich das exzellent in Bild und Ton gesetzte Drehbuch im letzten Drittel das Urteilsvermögen des gutgläubigen Betrachters schwer herausfordern und ihm auf die Füße treten wird.

Gerade das Ende schreit die Provokation förmlich hinaus und wirkt in seiner gezielten Konsequenz wie ein Hieb mit der Machete auf geruhsame Erwartungen. Und doch wird es den Haderern ziemlich schwerfallen, PELIKANBLUT als Hokuspokus einfach wegzulächeln. Lächeln sowieso nicht.

[ Andreas Körner ]