Was können Dokumentarfilme bewirken? Sollten sie sich auf die neutrale Beobachtung beschränken oder sich einmischen in das Geschehen vor der Kamera? Auf diese Streitfrage gibt es keine richtige oder falsche Antwort. SONITA jedoch ist ein sehr schönes Beispiel für die positive Macht, die Filme entfalten können, wenn sich die Menschen hinter der Kamera nicht auf ihre Beobachterrolle zurückziehen, sondern sich in erster Linie als Mitmenschen verstehen.
Das Leben von Sonita Alizadeh wäre anders verlaufen, hätte sich nicht die iranische Filmemacherin Rokhsareh Ghaem Maghami irgendwann entschlossen, es zu dokumentieren. Sonita war eines von vielen afghanischen Flüchtlingskindern, die illegal im Iran leben und sich notdürftig über Wasser halten. Nur unterstützt von einem Sozialzentrum, das sich um diese Bedürftigen und Rechtlosen kümmert. Sonita sticht heraus aus dem Haufen junger Mädchen, die alle in derselben beschissenen Situation sind. Nicht allein, weil sie einen knallgelben Pullover zum schwarzen Kopftuch kombiniert, sondern weil sie den verrückten Traum hegt, eine erfolgreiche Sängerin, mehr noch, eine Rapperin, zu werden. In einem Land, in dem es Frauen verboten ist, als Solokünstlerin aufzutreten, in dem sie am besten unsichtbar sein sollten.
Bald jedoch geht es für Sonita um viel mehr als „nur“ um ihren Traum. Der Großteil ihrer Familie lebt weiterhin in Afghanistan. Dort ist der Verkauf von Mädchen unter dem Deckmantel einer Heirat weit verbreitet. Sonitas eigene Mutter war als junges Mädchen ebenfalls an ihren Vater verkauft worden. „Das ist nun mal Tradition bei uns“, sagt die Mutter. Da Sonitas Bruder heiraten will, also das Brautgeld für eine Frau aufbringen muß, soll seine Schwester an einen Unbekannten verheiratet/verkauft werden. Weglaufen ist keine Option. Als Frau ohne Familie könnte Sonita im Iran kaum überleben.
An dieser Stelle faßt sich die Filmemacherin Maghami ein Herz, zahlt 2000 Dollar an Sonitas Familie und erkauft ihr damit sechs Monate Aufschub. Diese Zeit nutzt Sonita, um mit Maghami ein Musikvideo aufzunehmen, in dem sie den Mädchenverkauf vehement anprangert. Auf YouTube geht das Video durch die Decke. Dieser Erfolg verändert das Leben der jungen Frau auf eine Weise, die weder sie noch die Filmemacherin voraussehen konnten.
SONITA ist ein Film, der Mut macht, weil er zeigt, daß es sehr wohl auf den Einzelnen ankommt, und daß das eigene Handeln etwas verändern kann in der Welt.
Originaltitel: SONITA
D/CH/Iran 2015, 91 min
FSK 6
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation
Regie: Rokhsareh Ghaem Maghami
Kinostart: 26.05.16
[ Dörthe Gromes ]