Originaltitel: TASTE OF CEMENT
D/Syrien/Libanon/Vereinigte Arabische Emirate/Katar 2017, 85 min
FSK 12
Verleih: 3Rosen/Deutschfilm
Genre: Dokumentation, Schicksal, Polit
Regie: Zaid Kalthoum
Kinostart: 24.05.18
Die löchrige Hülle eines riesigen Hochhauses ragt in den Himmel von Beirut. Jeden Morgen steigen Arbeiter wie Ameisen aus den Katakomben unter der Erde, um es weiter wachsen zu lassen. Es sind syrische Geflüchtete, die hier arbeiten und leben. Nach 19 Uhr gilt für sie die Ausgangssperre. Doch eine persönliche Erzählstimme führt uns zunächst nach Syrien in die Küche einer Wohnung. Dort hatte der Vater eine Fototapete angeklebt, darauf das Meer und Palmen. Er hatte sie aus Beirut mitgebracht. Damals mußte der Libanon wieder aufgebaut werden. Jetzt kann der namenlose Erzähler das Meer ebenfalls nur in seinen Gedanken berühren, blickt von einem Kran aus über Beirut, auf das Blau des Wassers und des Himmels. Gefangen in einem Gerippe aus Beton.
Ziad Kalthoum, in Homs/Syrien geboren, inszeniert in präzisen poetischen Bildern die Routinen der täglichen Handgriffe, die Ausblicke und Einblicke in die Fluchten des Hauses und verwebt sie mit dem höllischen Lärm der Maschinen. Dann folgen Momente einer schwelenden Stille, wie vor dem Angriff. In den Augen seiner Protagonisten spiegelt Kalthoum die Nachrichten vom Krieg in ihrer Heimat. Szenen der Zerstörung wischen vorbei mit einer Daumenbewegung auf dem Smartphone. Kalthoum zoomt heran an die Gesichter, genauso wie die Männer die pixeligen Stills auf ihren Handies vergrößern, um zu sehen, ob sie Verwandte oder Freunde erkennen. Das alltägliche Leben pulsiert derweil vorüber, die Autos strömen durch die Straßenadern der Stadt, am Tag unter ihnen, in der Nacht über ihnen. Krieg wandert, verlagert seine Fronten, ein Tag folgt dem nächsten. Das Errichten folgt auf das Zerstören. Kathoum montiert den Kranarm parallel zum Panzerrohr, die Betonwüsten entvölkerter syrischer Städte mit dem Rohbau in Beirut. Beide können kein Heim bieten.
Man kann den Zementregen förmlich spüren, der einer Detonation folgt. Der verzweifelten Suche nach Verschütteten folgt irgendwann der feuchte Geruch nach frischem Zement. Lakonisch präzise sitzen Kalthoums Schnitte, dringen in den Betrachter, erzeugen ein Gefühl von Isolation und Ausweglosigkeit. Die noch jungen Arbeiter können diesem Kreislauf nicht entrinnen, Kalthoum läßt uns nah an sie herantreten und doch anonym bleiben. Sie sind die Werkzeuge der Mechanik des Krieges. Über eine Million Flüchtlinge aus Syrien leben derzeit im Libanon. Ziad Kalthoum widmet ihnen stellvertretend für alle Arbeiter im Exil dieses verstörende und berührende filmische Essay.
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...