Was ist, wenn’s das war? Wenn nichts mehr eine Struktur hat, wenn die Bücher verbrannt sind, das eigene Dach übern Kopf weg ist, wenn der Lieblings-teddy vermodert, wenn die Freunde gestorben sind? Was ist, wenn Wald und Flur durch einen flächendeckenden Holocaust verschwunden sind, wenn einen nur noch die Angst vor dem Verhungern und vor dem Verrücktwerden am Leben hält, und die Liebe zu den wenigen, die es auch geschafft haben, hart verteidigt werden muß? Dann sind wir im düstersten Szenario, das man sich erdenken kann, dann sind wir in den graublauen Bildern einer furchteinflößenden Welt, die keine richtige mehr ist, dann sind wir mitten in THE ROAD. Nur, daß wir den Teddy da schon nicht mehr sehen, denn John Hillcoat hat keinen Nerv für Spielbergsche Effekteinsprengsel, sein Film ist in allem konsequent. Ein Film, der auch durch sein geradezu quälendes Erzähltempo auf die Brust drückt, der einem nichts vorgaukelt, selbst wenn Hillcoat am Anfang noch ein trügerisches Bild auffährt: Natur, Pferd, Fische, zwei glückliche Menschen. Ein Bild allerdings wie ein Sekundenflashback, denn einen Augenaufschlag später ist es plötzlich dunkel auf der Leinwand – und im Leben der zwei eben noch so glücklichen Menschen.
Die Welt in Komplettauflösung ist das Thema von THE ROAD: Nach einer nicht näher benannten Katastrophe liegt die Erde in Trümmern, alle Tiere sind tot, die Bäume umgestürzt, jede Urbanität und jede Landschaft aufgelöst. Nur sehr wenige Menschen haben überlebt, dazu gehört eine kleine Familie – Mutter, Vater und das im Bauch wachsende Kind. Es wird weder der Erklärbär über die verbrannte Erde gejagt, noch werden sich heroisch aufplusternde Figuren ins Feld gerückt – Hillcoat, dessen genialer Neowestern THE PROPOSITION es leider nie in die deutschen Kinos schaffte, verlangt seinem Publikum eine rezeptive Disziplin ab, so wie er es bei seinen Figuren durch einen auf das Wesentliche reduzierten Überlebenshabitus tut. Eine gewisse Zeit, bis das Kind aus dem Gröbsten raus ist, verteidigt die Familie das verbliebene Hab und Gut nach der Katastrophe, doch Hunger wird auch sie zum Aufbruch treiben. Und die Angst, von herumstreunenden Kannibalen erwischt zu werden, nur weil man die letzte „Heimat“ nicht aufgibt. Auf den Weg nach irgendwas Eßbarem machen sich nur Vater und Sohn, die Mutter hielt der Verzweiflung und der spürbaren Ausweglosigkeit nicht stand ...
Ganz harter Stoff, ganz großes Kino, denn der Australier John Hillcoat erzählt vom puristischsten Moment eines vielleicht aussichtslosen Kampfes: von Hunger und Liebe. Vater und Sohn müssen sich vor Menschenfressern, der moralischen Verrohung und einer stets drohenden Depression schützen, was kaum machbar ist, wenn wirklich nichts mehr eine Ordnung hat. Das emotionale Kraftzentrum der beiden Suchenden wird immer wieder neu geprüft: Indem sie „Wir würden nie jemanden essen!?“ sagen, machen sie sich Mut, der Vater fährt gegen die Verzweiflung ankämpfend immer wieder über den bewahrten Ehering. Und so kann es in der Tat nur die Liebe sein, die es die beiden zumindest bis an den Ort ihrer Sehnsucht schaffen läßt – ans Meer. Ein gut gewähltes Bild, den Menschen in seiner Not dorthin zu bringen, wo jedes Leben einst entstand. Aber bevor Hillcoat den Jungen zumindest in eine irgendwie durch neuerlichen Zusammenhalt geartete Zukunft entläßt, fordert er ihm und dem mitfühlenden Publikum schwerstes Leid und große Empathie ab.
Ein intensiv erzähltes Kunstwerk ist THE ROAD geworden, was auch durch die zwar in Moll gehaltene, dennoch zart hoffende Klavier- und Streichermusik besticht, die kein Geringerer als Nick Cave schrieb, der Hillcoats Werk bereits seit den Anfängen in den späten 80ern mit GHOSTS ... OF THE CIVIL DEAD begleitet.
Originaltitel: THE ROAD
USA 2009, 111 min
FSK 16
Verleih: Senator
Genre: Drama, Science Fiction
Darsteller: Viggo Mortensen, Kodi Smit-McPhee, Charlize Theron, Robert Duvall, Guy Pearce, Molly Parker
Regie: John Hillcoat
Kinostart: 07.10.10
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.