Originaltitel: TRIPLE 9
USA 2016, 116 min
FSK 16
Verleih: Wild Bunch
Genre: Thriller, Drama
Darsteller: Casey Affleck, Anthony Mackie, Kate Winslet, Woody Harrelson
Regie: John Hillcoat
Kinostart: 05.05.16
Anläßlich der Cannes-Aufführung von LAWLESS (2012) wurde Regisseur John Hillcoat in einem Interview gefragt, warum seine Filme immer in so furchtbar zivilisationsfernen und menschenfeindlichen Einöden spielen würden. Etwa im australischen Outback, sei es dem einer jüngeren oder auch schon historischen Vergangenheit (GHOSTS … OF THE CIVIL DEAD, THE PROPOSITION). Oder in einer amerikanischen Südstaaten-Einsamkeit, die gleichsam Topographie gewaltgetränkter US-Historie ist (LAWLESS). Oder gleich, wie in THE ROAD, gänzlich in einer Postapokalypse, in der tatsächlich die ganze Erde in geradezu biblischer Dimension wüst und leer ist, und die Rest-Menschheit in der Agonie atavistischer Grausamkeiten röchelt.
Die Antwort, die Hillcoat damals gab, ließ aufhorchen und war natürlich keine richtige Antwort: Sein nächster Film, so verriet er, würde „mitten in einer riesengroßen Stadt der Gegenwart“ spielen. Er selbst nämlich, so Hillcoat weiter, wolle „dringend mal raus aus diesen einsamen Gegenden.“ TRIPLE 9 heißt der Film, von dem damals die Rede war, und der jetzt ins Kino kommt: In der „riesenroßen Stadt“ Atlanta beginnt Polizei-Frischling Chris seinen neuen Job. Auf Vermittlung seines Onkels, einem alten Haudegen von Cop, der mit Suff und Zynismus gegen die Resignation ankämpft. Und an der Seite des abgeklärten Marcus Atwood, der allerdings nichts weniger gebrauchen kann als einen ehrgeizigen und idealistischen Kollegen, der ihm über die Schultern schaut. Gehört Atwood doch zu einer Gruppe korrupter Polizisten, deren Abstieg in die Illegalität zunehmend zum freien Fall wird, seit die „Zusammenarbeit“ mit der örtlichen Russenmafia auch Banküberfälle einfordert. Einen letzten davon verlangt Kartellchefin Irina Vlasov noch. Freilich keine Frau, die ein Nein akzeptiert. Auch wenn es im Grunde ein Himmelfahrtskommando ist, zudem sie die Männer verdammt. Die darauf ihrerseits einen perfiden Plan schmieden, in dem Chris die Rolle des Bauernopfers zufällt.
Ja, Ort und Zeit der Handlung haben sich geändert. Aber sonst? Dieses Gegenwarts-Atlanta mag modern und urban sein. Gewalttätig, menschenfeindlich, zivilisationsfern ist es außerdem. Einsamer, verlorener und innerlich abgestumpfter aber als hier – und das ist das Interessante – war das Personal in noch keinem Film Hillcoats. Nicht, daß da bisher Sensibelchen und Sympathieträger üppig gesät waren. Weiß Gott nicht. Aber diese „Modernen“, die Hillcoat hier in der Einöde ihrer Urbanität zeigt, sind mitunter derart skrupellos und emotionskalt, daß darüber sogar die Liebe zu einem Kind oder die der Mafia-Patin zu ihrem inhaftierten Mann als kaum mehr denn pathologische Egomanie aufscheint. Es ist eine Demontage des Zivilisatorischen und Humanen, die TRIPLE 9 mit schon geradezu nihilistischer Rigorosität zeigt. Das ist packend, in aller Ambivalenz. Und bezüglich der harsch und fiebrig inszenierten Action reinstes Adrenalin.
Zugleich aber muß man konstatieren, daß der Film der schwächste in Hillcoats bisherigem Schaffen ist. Die nicht geringe Zahl an Figuren, Querverbindungen, Erzählsträngen hat etwas zu Konstruiertes und Überfrachtetes. Da wackelt das dramaturgische Gebälk mitunter merklich. Was sich indes einem simplen Umstand verdanken mag: Der Film ist – und über die Gründe sei hier jetzt mal nicht spekuliert – zu kurz, um angemessen ausbreiten zu können, was er alles anreißt. Fesselnd in all seiner düsteren Konsequenz ist er allerdings auch.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.