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Viva la libertà

Brüderporträt und Politsatire in Moll

Er ist müde, und er darf es nicht sein. Er hat den Zirkus satt, aber er gehört zum Zirkus. Schlimmer noch: Er definiert ihn mit.

Er, das ist Enrico Olivero. Und der Zirkus, das ist der politische in Italien. Enrico ist Chef der größten Oppositionspartei des Landes. Deren Umfragewerte sind desaströs, und ein Putsch aus den eigenen Reihen blieb Enrico wohl nur deshalb erspart, weil die politische Situation insgesamt zu einem derartigen Schmierentheater geworden ist, daß Hauptrollen in diesem momentan nicht wirklich attraktiv sind. Womit die Verrücktheit, die Enrico plötzlich begeht, im Grunde das Gegenteil einer Verrücktheit ist: Er macht sich aus dem Staub. Flieht, ohne jemanden in Kenntnis zu setzen, zu seiner Geliebten nach Paris.

Es ist der Moment, in dem Roberto Andòs VIVA LA LIBERTÀ dann zur tatsächlichen, zur eigentlichen Verrücktheit ansetzt. Denn während die Parteizentrale Kopf steht ob des verschwundenen Chefs, behält dessen Assistent ein kühles Haupt und kommt auf eine aberwitzige Idee: Enricos Zwillingsbruder, der zurückgezogen lebende Ex-Philosophieprofessor und Ex-Psychiatriepatient Giovanni, soll sich heimlich, still und leise, ohne daß es irgendwer erfährt, als Enrico ausgeben. Giovanni ist dazu tatsächlich bereit – beginnt allerdings das Spiel im Politzirkus schnell nach eigenen Regeln zu spielen.

VIVA LA LIBERTÀ ist ein Narrenstück, aber eins, das in Moll erzählt. Eine Satire mit Gänsehautmomenten und starken Dialogen. Traurig, aber nicht ohne Hoffnung. Andòs Film ist somit erst einmal grundsympathisch und Toni Servillo in seiner Doppelrolle als Enrico/Giovanni ein Hochgenuß. Tatsächlich kann man sich nicht sattsehen daran, wie er seine Figuren, diese so gegensätzlichen Brüder, als seitenverkehrte Spiegelbilder umreißt. Und dabei aber eben nicht in einem Schwarz-Weiß-Kontrastieren verharrt, sondern in den charakterlichen Verschiedenheiten, die Enrico und Giovanni voneinander getrennt und auch entfremdet haben, zugleich diese immer etwas unheimliche, zwillingshafte Verbundenheit mitschwingen läßt.

Der Reiz nun an diesem Film – parallel von den Erlebnissen Enricos und Giovannis zu erzählen – ist zugleich aber auch sein Manko. Leider, muß man sagen, bremsen sich die in ihrer Dynamik ohnehin verhaltenen Handlungsstränge zunehmend gegenseitig aus. Ähnlich diesen zwei Brüdern, die sich aus gutem Grund meiden – weil sie sich in Gemeinsamkeit nämlich nur behindern.

Originaltitel: VIVA LA LIBERTÀ

I 2013, 94 min
FSK 0
Verleih: Arsenal

Genre: Satire, Polit

Darsteller: Toni Servillo, Valerio Mastandrea, Valeria Bruni Tedeschi

Regie: Roberto Andò

Kinostart: 27.03.14

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.