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Young@Heart

Ein Chor zum Heulen

Regisseur Stephen Walker ist ganz Kind seiner Zeit. Er hat (vermutlich) eine solide Ausbildung und, was noch viel mehr wiegt, ein Gespür für Themen. War Wim Wenders’ BUENA VISTA SOCIAL CLUB noch überraschend und eine Verneigung vor den Protagonisten, Stephen Walkers Doku YOUNG@HEART, die nun in die Kinos kommt, scheint auf bloßem Kalkül zu basieren. Und nein, es ist nicht die Wahl des Themas, die hier so ärgerlich macht. Die ältere Generation soll freilich ihren Platz im Kino haben, dagegen ist nichts einzuwenden, zumal wenn deren Vertreter das Klischee vom Altsein so wegbügeln wie die hier Vorstelligen.

YOUNG@HEART nämlich nennt sich ein Chor von 75- bis 92jährigen, und während andere Altersgenossen in Heimen dem Tod entgegendämmern und das Leben scheinbar schon hinter sich gelassen haben, bringen die alten Leutchen dieses Chors weltweit Konzertsäle zum Kochen - mit ihrer Interpretation moderner Punk-, Soul- und Rock-Songs von The Clash über James Brown bis Nirvana. Daß Musik jung hält ist die Botschaft der Senioren, ein Live-Konzert des Chors sicher ein Erlebnis. Aber Walkers Film dient sich diesem Potential nur an. Schon die Eingangssequenz mit abgefilmten Standing Ovations und einem salbungsvollen Off-Kommentar macht klar: In diesem Film geht es um große Emotionen!

Und tatsächlich kommt YOUNG@HEART als Lehrstück daher, das den Zuschauer in die Zange nimmt und den eigenen Zugang verwehrt. Walker macht seine Drohung wahr und knüpft eine rührselige Szene an die andere. Natürlich sind in einem Chor, dessen Mitglieder hohen Alters sind, Krankheits- und Todesfälle an der Tagesordnung. Walker versucht dies - wenig subtil - als Spannungselement zu verwursten, und in dieser Manier einer "Reality-Show" versäumt er es auch nicht, den sterbenden Protagonisten mit der Kamera bis ins Krankenhaus zu folgen.

Als Extrabonbon gibt’s aus Anlaß des Films gedrehte Musikvideos, in denen die alten Leutchen zum Beispiel im Rollstuhl fahrend "Ich will sediert werden!" zum Besten geben. Ist das lustig?Alles in allem gelangen mit dem Film wunderbare Stimmen und seltene, sympathische Charaktere ins Kino. Der Regisseur allerdings drückt auf deren Kosten nur mal heftig auf die Tränendrüse.

Originaltitel: YOUNG@HEART

USA 2007, 109 min
FSK 6
Verleih: Senator

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Stephen Walker, mit: Joe Benoit, Helen Boston

Kinostart: 09.10.08

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.