Charlotte Lorber, 392 S., 29,90 Euro, Schüren Verlag Marburg
[ 01.02.2012 ] Der Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler und Kinobesitzer Nanni Moretti zählt seit gut 30 Jahren zu den wichtigsten Figuren der italienischen Filmszene. Seine Werke, die hierzulande bekanntesten sind LIEBES TAGEBUCH (1993), DAS ZIMMER MEINES SOHNES (2001), DER ITALIENER (2006) und aktuell HABEMUS PAPAM, finden über die Grenzen Italiens hinaus ihr Publikum. Bislang war man für tiefergehende Informationen zu Moretti entweder auf das Internet oder auf fremdsprachige Publikationen angewiesen. Diese Lücke schließt nun zumindest partiell ein Buch der Medienwissenschaftlerin Charlotte Lorber: „Die Filme von Nanni Moretti. Erfahrung und Inszenierung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit.“
Der wissenschaftliche Untertitel deutet es schon an, es handelt sich hierbei um eine Dissertationsschrift, eingereicht an der Philipps-Universität Marburg. Lorber analysiert darin Morettis Filme (bis zum Jahr 2006) anhand der übergeordneten Kategorien Raum, Zeit und Bewegung. Diese akademische Herangehensweise verlangt dem Leser einige Konzentration ab, belohnt ihn dafür jedoch mit einer Fülle an Fakten, Interpretationen und Zusammenhängen zur Entwicklung von Morettis Filmschaffen. Eine weitere Stärke der Studie ist, daß die Autorin immer wieder die Bezüge zwischen den Filmen und dem cineastischen, politischen und gesellschaftlichen Kontext Italiens aufzeigt.
Aus methodischen Erwägungen heraus analysiert Lorber dabei ausschließlich die Filme, in denen Moretti die für ihn charakteristische Doppelfunktion von Regisseur und Hauptdarsteller einnimmt. Seine Kurzfilme sowie die Produktionen seiner Firma Sacher Film und seine Auftritte als Schauspieler in den Werken anderer Regisseure werden nur am Rande thematisiert.
Raum für filmische Entdeckungen bietet insbesondere Lorbers ausführlicher Blick ins Frühwerk Morettis, das in Deutschland kaum bekannt ist. Es sind die fünf Filme, angefangen von seinem noch auf Super-8 gedrehten Erstling ICH BIN EIN AUTARKIST (1976) bis zu WASSERBALL UND KOMMUNISMUS (1989, in denen sich Moretti das von zahlreichen Neurosen geplagte Alter Ego Michele Apicella zulegt und jeweils auf andere Art an sich selbst und der Gesellschaft scheitern läßt. Die optische Ausstattung des Buches fällt im Gegensatz zum Inhalt recht karg aus, bis auf kleinformatige Szenenfotos herrscht hier weitgehend Bleiwüste.
[ Dörthe Gromes ]