[ 03.11.2014 ]
Fünf Filme in fünf Jahren. Beeindruckend, ohne Frage, warum aber diese Rastlosigkeit?
Ich habe mich das eigentlich nie selbst gefragt. Ich mache Filme genau dann, wenn ich sie machen muß, wenn ich deren Dringlichkeit empfinde. Und bei mir ist das eben so, daß diese Dringlichkeit immer ganz schnell nach dem gerade abgedrehten Film kommt. Es ist dieses Mal nicht anders: Ich würde gern direkt nach MOMMY weitermachen. Ich habe aber derzeit einfach keine Energie mehr. Ich fühle mich komplett ausgebrannt, für ein Gespräch wie dieses bin ich fit, für einen Film wohl kaum.
Daß sich Energie aufbraucht, wenn man in Deinem Rhythmus und Pensum arbeitet, verwundert wenig.
Na ja, zum einen ist es, daß ein Projekt immer selbst ein gewisses Maß an Energie innehat, die sich 1:1 auf mich überträgt, dann bin ich kaum zu stoppen. Und das hat bis zu MOMMY perfekt funktioniert. Dabei ist der Dreh das Wenigste, die Vorproduktion macht einen fertig, saugt einen aus. Ich arbeite Tag und Nacht, beantworte 400 Emails am Tag, ich schreibe, drehe, nähe Kostüme, schneide den Film ... Und nun geschah es, daß ich so nah an einem kompletten Burnout war, zuerst ohne es recht zu merken. Dann wurde ich physisch krank, verlor meine Balance. Also ganz wörtlich: Ich konnte nicht mehr richtig laufen. Für mich stand fest: Hirntumor. Untersuchungen ergaben Gott sei Dank, daß da nichts ist, nur, daß ich fertig bin. Mein Arzt sagte: „Ruhe Dich sofort ein paar Wochen aus, oder Du fällst in wenigen Monaten richtig um.“ Deswegen muß ich nun erst einmal raus aus dem Hamsterrad. Und das tue ich: Ich reise an Orte, an denen ich nie war, ich treffe Freunde, die ich ewig nicht gesehen habe, und ich lerne Deutsch. Ich krieg’ schon weiche Knie, wenn nur jemand irgendwas auf Deutsch sagt!
Wie gehst Du mit diesem recht inflationär benutzten Begriff „Wunderkind“ um?
Das ist schon eigen, denn: Was sagt es mir? Was kann ich damit anfangen, wie es nutzen? Es ist vermutlich als Kompliment gedacht, aber soll ich wirklich glauben, daß dies wahr ist? Daß ich es verdiene? Oder eben nicht? Soll ich deswegen noch mehr arbeiten oder weniger? Gut, dieser Begriff schwebt so rum, aber für mich persönlich ist er ziemlich nutzlos. Mir wäre es lieber, sie erwähnten neben dem Enfant prodige auch gleich nichts mehr vom Enfant terrible. Das wären zwei überflüssige Apotheosen weniger. Auch wenn ich die Konnotation des Bad Boy im Enfant terrible nicht ganz reizlos finde (lacht).
Du erzählst oft vom Verhältnis zwischen Mutter und Sohn als ein schwieriges. Glaubst Du, daß dieses Verhältnis ein derart spezielles ist, weil Liebe und Verlustangst zwar zusammenschweißen, aber gleichzeitig für Reibung sorgen?
Generell bin ich interessiert an leidenschaftlichen Beziehungen, egal, ob Freundschaft oder Mutterliebe, ich glaube an Leidenschaft! Für mich ist sie sogar die Essenz, um Geschichten zu erzählen. Und die Beziehung zwischen Mutter und Sohn hat extrem viel Struktur und Kontrast. Diese Komplexität, dieses alles andere als einfache, aber eben hochleidenschaftliche Verhältnis zwischen Mutter und Sohn fasziniert mich; wie beide sich permanent suchen, jagen, sich gefallen wollen und geradezu verzweifelt bemühen, daß alles bestens zwischen ihnen funktioniert.
Du hast mal den Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Kino so beschrieben: Die Amerikaner erzählen Geschichten, die Europäer machen Cinema. Für mein Empfinden tust Du beides. Wo siehst Du Dich selbst?
Ich versuche beides, ich versuche es wirklich! Für mich sind die amerikanischen Filmemacher tatsächlich die Götter im Geschichtenerzählen. Sie sind genial darin, emotional mit ihren Charakteren zu verschmelzen. Eine Besonderheit, die sich über französische Filmemacher nicht unbedingt sagen läßt. Die Europäer sind für mich eher große Formalisten, Techniker, Intellektuelle, die im Kino weniger den emotionalen Unterhaltungszweck, vielmehr die Kunstform sehen. Ich finde beides reizvoll.
Du hast Dir das Filmemachen selbst beigebracht. Wer hat Dich dabei maßgeblich beeinflußt?
Filmemacher kann ich da ehrlicherweise kaum nennen. Jedoch gibt es eine Menge Filme, die mich sehr beeinflußt haben. Aber das sind sicher nicht die Filme, die Du erwartest ...
Na dann!
Es sind die Filme aus meiner Kindheit und Jugend. Wie TITANIC. Den habe ich sechzigmal gesehen, ich bin verrückt. Oder JUMANJI. Oder BATMAN RETURNS, MATHILDA und MRS. DOUBTFIRE. Und ganz besonders KEVIN – ALLEIN ZU HAUS.
Nun gut, die habe ich wirklich nicht erwartet.
(lacht) Wußte ich! Aber warum diese Filme? Nun, als ich sie gesehen habe, war mir einfach nicht bewußt, wie sie mich einnahmen, regelrecht indoktrinierten. Es war diese Unschuld, aus der heraus ich nicht merkte, daß durch bestimmte Codes und Strukturen Reflexe und Instinkte ausgelöst wurden, die mich fesselten, durch die ich gezeichnet und zum Teil des Ganzen wurde. Das war groß! Generell muß ich aber sagen, daß ich weniger auf der Suche nach Influenz bin, Inspiration treibt mich an, und die ziehe ich eher aus Photographie und Malerei. Ich bin regelrecht süchtig nach Bildern und Fotos, ich habe Tonnen davon zu Hause. Ich mußte mit der Hilfe von Freunden eine Bücherei bauen, um das ganze Zeug adäquat aufzubewahren. Die ist jetzt voll, ich müßte eigentlich eine zweite bauen.
Man soll ja jedes seiner Babies lieben. Doch welcher Deiner Filme ist Dir der naheste?
(wie aus der Pistole) LAURENCE ANYWAYS! Auf dem fast gleichen Level ist MOMMY. Fast! Ich liebe LAURENCE ANYWAYS schon deswegen, weil sich viele beschwerten, wie äußerlich der Film sei, wie übertrieben und dabei zu nachsichtig. Ich sehe das ganz anders. Ich denke, daß diejenigen, die das schrieben, in 20 Jahren den Film vielleicht noch einmal sehen werden – und ihre Meinung ändern. Denn es ist ein zutiefst ehrlicher Film über Liebe und über Menschen, die verzweifelt versuchen, zurechtzukommen, wenn das Leben mal wieder anders entscheidet. Aber dennoch muß ich gestehen, daß ich die ersten 15 Minuten in LAURENCE ANYWAYS hasse. Sie sind einfach nicht gut geschrieben, sie sind dialogisch überschrieben, die Komplexität der Figuren ist nicht glaubwürdig. Selbst für mich zu grell geraten. Das passiert, mein Fehler, das ist mehr zu einem Sammelsurium aus Szenen geraten. So ist es leider, aber nach den ersten 15 Minuten, in der Szene, wo wir die Büroklammer an Laurence’ Fingern sehen, von da an umarme und liebe ich meinen Film, seine Charaktere und deren Entscheidungen. Laß mich kurz schwärmen: Ich weine nicht, wenn ich den Film sehe, aber die Szene kurz vor Schluß, wenn sie sich in der Bar treffen, auseinandergehen, das Herbstlaub ... Dann wünschte ich mir, die Leute würden diese Szene vergessen, damit ich sie in jedem meiner Filme verwenden könnte.
Wie schaust Du nach fünf Filmen auf den ersten?
Aus rein emotionalen Gründen könnte natürlich auch I KILLED MY MOTHER mein wichtigster Film sein. Aber ich denke, daß er optisch teilweise ziemlich häßlich geraten ist. Das Licht, die Kamera ... argh! Aber ich hatte damals keine Ahnung, welche Bewegung man wann warum macht, welche Linsen man verwendet. Es waren Fehler, die gemacht werden mußten. Freunde, die durchaus Geschmack haben, bestätigten mir, daß die emotionale Kraft überzeuge, wen kümmerten da schon kleinere Fehler aus der Unbeholfenheit des Anfängers heraus; der Film sei ehrlich und deswegen gut so. Ich weiß, und dennoch: Es fielen Entscheidungen, die eben nicht aus künstlerischen Aspekten gemacht wurden. Zum Beispiel diese Szene, in der er seine Mutter durch die Wälder jagt, sie trägt dieses ausufernde Hochzeitskleid. Puh, das ist soooo schwul ... Schwer für mich, es für immer zu lieben (lacht).
Danke für das Gespräch!
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.