JACQUES RIVETTE
[ 03.03.2016 ] Es war schon länger sehr still geworden um Jacques Rivette. Wobei man fragen muß: Lag nicht seit je schon etwas Stilles um diesen Regisseur? Etwas Verborgenes, das gut harmoniert mit seinen Filmen, die ja immer auch einem Blick aus dem Abseits, einem Beobachten aus der Zurückgezogenheit heraus ähnelten. „Mönchisch“ war ein Attribut, mit dem das Feuilleton Rivette gern beschrieb. Was nicht verkehrt ist, aber ein wenig außer acht läßt, wie lebendig, sinnlich auch, dessen Arbeiten doch sind.
Rivettes Kino ist eines, das sich rigoros jenseits des Profanen positioniert. Das sich eine eigene Welt schafft. Eine Welt, deren Gewebe Literatur und Theater sind. Und die zugleich eine echte, weil autonome und – das vor allem – eine poetische Form der Wirklichkeitserfahrung darstellt, in der sich auf fast magische Art Widersprüche aufzulösen scheinen. Verdichten sich doch in der offenen, fast somnambulen und wellenhaften Struktur ihres Erzählens wie in der nicht selten exorbitanten Länge dieser Filme zugleich immer auch Wissen, Genauigkeit, Lebenserfahrung.
Das ist schon in Rivettes Erstling PARIS GEHÖRT UNS so. Und allein die Produktionszeit des Films von 1958-1960 mag da Bände über seinen Regisseur sprechen. Wie auch der Umstand, daß dieses großartige Debüt dann in der Wahrnehmung erst einmal unterging zwischen zwei anderen großartigen Debüts: Truffauts SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUGEN IHN und Godards AUSSER ATEM.
Truffaut, Godard, Rohmer, Rivette – das war die Viererbande der Nouvelle Vague. Und Rivette, zumindest auf den ersten Blick, ihr formstrengster, wenn auch undogmatischer Apologet. Ein Verweigerer und Sucher und genau darin immer wieder Ermöglicher des Unmöglichen: Satte 773 Minuten geht da etwa OUT 1: NOLI ME TANGERE. Ein Film, der nicht nur in seiner Laufzeit aus der Zeit herausfällt, sondern ihr auch voraus war: Acht Episoden, geschickt in vielen Erzählsträngen miteinander verflochten; was heute in einschlägigen TV-Qualitätsserien als innovativ gilt, hat Rivette schon 1971 exerziert.
Und das eben in jener Konzentration und Genauigkeit, die all die schönen unbekannten und auch schönen bekannteren Filme Rivettes auszeichnen. DIE NONNE, DUELLE, CÉLINE UND JULIE FAHREN BOOT, natürlich DIE SCHÖNE QUERULANTIN, DIE GESCHICHTE VON MARIE UND JULIEN … Filme, in denen Geheimnisse ruhen und gern auch mal das gespensterhaft Geheimnisvolle in Form eines tieferen Wissens und einer tieferen Stille umgeht, die jener ähneln mag, in die Rivette sich jetzt endgültig zurückgezogen hat. Am 29. Januar ist der Regisseur im Alter von 87 Jahren in Paris gestorben.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.