[ 01.01.2019 ] Manchmal passiert ja so was im Leben: Da trifft man in aller Unschuld, also ahnungslos und unvorbereitet, auf einen Film, der das, was man bis dahin für „Film“ hielt, zugleich unterläuft und überhöht. Oder anders gesagt: Der einem wie ein Blitz ins Bewußtsein fährt, dessen Grenzen weitet, die Augen öffnet und einen – in aller Unschuld – staunen läßt, was Kino alles kann.Im konkreten Fall verdankt sich diese Initiation Nicolas Roegs WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN. Anfang der 80er flimmerte der im samstäglichen ARD-Spätprogramm. Ahnungslos und unvorbereitet, in Erwartung irgendeines wohligen Gruselfilmchens, saß man vor der Glotze. Nur daß das, was man dann zu sehen bekam, einem schon in den Anfangsszenen emotional und visuell einen Schock verabreichte, der von „wohligem Schauer“ so weit entfernt war wie dieser gesamte Film, der alle möglichen Erwartungen unterwanderte. Und übertraf.
Intellektuell und emotional, mystisch und ästhetisch, abgründig und empathisch – der Brite Roeg konnte all das. Und brachte dabei all diese Pole auch formal so nah zueinander, daß aus den Spannungsentladungen dazwischen elektrisierende Solitäre wurden. Filme, die zur Zeit ihres Entstehens oftmals weder vom Publikum noch von der Kritik auch nur halbwegs angemessen rezipiert wurden. Es ist der Blick für das Unheimliche, für die Abgründe und Ebenen hinter dem Offensichtlichen. Und das Können, mit dem Roeg, der als Kameramann und Lichtsetzer anfing und auch als Regisseur nie aufhörte, Kameramann und Lichtsetzer zu sein, das zu visualisieren verstand. Ein Meister der beunruhigenden Bilder und Bildmontagen. Letztere oft eher assoziativ statt linear und in den magischsten Momenten von einer Eigendynamik, ob derer zwei oder auch mehrere unterschiedlichste Szenen zu einer einzigen neuen Szene, einer Szenerie zirkulierender Perspektiven montiert sind.
Das macht diese Filme oft zum Traumpfad, zum kinematographischen Walkabout – um auf Roegs erste eigene Arbeit (WALKABOUT) anzuspielen. Es sind dieser Erstling und die vier Folgefilme (WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, DER MANN, DER VOM HIMMEL FIEL, BLACKOUT, EUREKA), die gesehen haben muß, wer die Wirkungsmöglichkeiten des Kinos begreifen will. Fünf Filme, entstanden zwischen 1971 und 1983. Daß danach nur noch vorrangig Mittelmäßiges folgte, mag man als tragisch empfinden, ändert aber nichts am Ausnahmestatus dieses großen Kinokünstlers, der am 23. November im Alter von 90 Jahren gestorben ist.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.