PRÉLUDE
[ 26.07.2019 ] Im Branchenblatt „Blickpunkt: Film“ war vor dem Filmfest ein Interview zu lesen, in dem sich die Festivalleitung rotbäckig erfreute über die Implementierung einer neuen „Virtual Reality“-Sektion. Ich habe vom Sinn dieser Zusatzprogrammierung kein Wort verstanden und auch keine Zeit darauf ver(sch)wendet, mir clipartige Fingerübungen anzuschauen, das Filmfest bot in diesem Jahr genug richtiges Kino und starke Filme. Womit es seiner Bestimmung wohl am ehesten nachkommt. Auf eine kleine Auswahl sei nun verwiesen, die gottlob ein wunderbares Schicksal eint – sie alle kommen ins Kino, verdientermaßen!
Dabei waren es vor allem deutsche und französische Beiträge, die berührten, irritierten, im Gedächtnis blieben. LARA zum Beispiel, der nun wirklich langersehnte OH BOY-Nachfolger von Jan-Ole Gerster. Eine brillant aufspielende Corinna Harfouch gibt die Titelfigur, eine von Härte und mütterlicher Mißgunst zerfressene Frau, die dem Erfolg ihres Musikersohnes in die Beine grätscht, wo es nur geht. Wieder erzählt Gerster komprimiert auf einen Tag und eine Nacht, hier nun fallen der 60. Geburtstag von Lara und die Bühnenpremiere des Sohnes Viktor zusammen, eine Einladung zum Konzert erhielt die Mutter nicht. Ein großer Film übers Kleinmachen, übers Projizieren eigener Defizite, über die Schwierigkeit, bedingungslos zu lieben.
Auch in PRÉLUDE spielt Musik eine entscheidende Rolle, Ehrgeiz ebenso und das jederzeit mögliche Scheitern durch zu großen Druck. Den verspürt der begabte Pianist David, und Louis Hofmann, der vielleicht beste Schauspieler seiner Generation, spielt diese porzellanene Zerbrechlichkeit derart überzeugend, daß selbst ein heftig kompromißloser Schluß glaubwürdig geriet.
Von den Franzosen seien drei Beiträge erwähnt, die in ihrer Verschiedenheit einmal mehr für den Glanz unseres Filmnachbarn stehen. LES MISÉRABLES räumte bereits in Cannes ab, und zu Beginn scheint es, als wäre dies einer der zwar guten, aber doch recht sattsam gesehenen Polizeifilme, die von brenzligen Einsätzen in der Banlieue erzählen. Doch der Film entwickelt eine ganz eigene Kraft, weil der Blick in diesen Hexenkessel Montfermeil ein schonungsloser ist, da von Korruption, Glaubensgift und überbordender, auch polizeilicher Gewalt erzählt wird, und weil die Gegenwehr dieses Mal von den Schwächsten des Regimes ausgeht – den Kindern des Viertels. Ladj Lys Langfilmdebüt drückt gerade im Finale auf die Brust, und den traurigen und wütenden Blick des Jungen Issa wird man nicht wieder vergessen.
Vom Abgeschriebensein erzählt auch die Tragikomödie DER GLANZ DER UNSICHTBAREN, eine anrührende Geschichte über den täglichen Kampf von obdachlosen Frauen, die zwar auf die Unterstützung sich Engagierender angewiesen sind, sich dabei aber nicht als wehrlose Opfer verstehen. Aus dieser Eigenschaft gebiert sich ein toller Überlebenshumor, der in den Versuchen, die Damen in der Arbeitswelt wieder Fuß fassen zu lassen, ohne ihre wunderbaren Eigenheiten aufzugeben, in eine warmherzige und kluge Komödie kulminiert.
Von der Sonnenseite des Lebens möchte auch Sofia etwas abhaben und hat darüber ihre ganz eigene, sehr körperbezogene Strategie entwickelt. Sie weiß genau, was betuchte Männer im besten Alter mögen – sie nutzt deren Hang zur Trophäenjagd und genießt dabei ihren Vorteil und das Ausleben eigener Lüste. Hätte ein Mann EIN LEICHTES MÄDCHEN gedreht, wären all jene Moralapostel wieder auferstanden, die vorschnell von Verkommenheit wettern, dabei Lebensrealitäten und sicherlich auch irritierende, aber doch sehr persönliche Entscheidungen negieren. Rebecca Zlotowski erzählt in aller gebotenen Offenheit von Verführung und Selbstbestimmung, von zerbrechlichen Freundschaften und der Arroganz der Reichen. In der Besetzung der Sofia gelang ihr durch das berührende Spiel Zahia Dehars ein waschechter Besetzungscoup.
Und ein letztes Schüren an Vorfreude noch, weil auch der Cannes-Gewinner PARASITE im Herbst in die Kinos kommt: Zuerst schleicht sich Ki-woo als Nachhilfelehrer in eine reiche Familie ein, doch der Rest seiner Sippe ist für Jobs im Haushalt der Familie Park zu einigem bereit. Ein derart raffiniertes, spannendes und edel gefilmtes Zeugnis von menschlicher Degeneration und Hilflosigkeit hat es auf der Leinwand mindestens sehr lange nicht gegeben.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.