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[ 29.09.2022 ] Jean-Luc Godard konnte ausgesprochen selbstgerecht sein, in politischer Hinsicht oft peinlich banal (man schaue Werke der „maoistischen Phase“) und brutal ideologisch (etwa in der Gleichsetzung Israels mit Nazideutschland). Und nicht selten war die Attitüde intellektueller Exzentrik, die er pflegte, genau nur das: Attitüde.
Darf man so etwas in einem Nachruf, der ja ein Leben und Schaffen würdigen soll, schreiben? Nun, im Falle Godards ja. Allein, weil der Mann Zeit seines Lebens auf die Konventionen pietätvoller Leisetreterei und falscher Höflichkeiten gepfiffen hat. Was absolut für ihn spricht. Unter anderem. Godard war im wahrsten Sinne des Wortes – und das heißt in Theorie und Praxis – ein Kino-Revolutionär. Wobei Theorie und Praxis bei ihm immer eins waren: Für Godard war Filmen aktives, bestechend visualisiertes Denken. „Den Gang der Gedanken filmen“, nannte er das, und was er von den Zuschauern erwartete (manche würden sagen, ihnen zumutete), war, daß sie wiederum beim Sehen dieser Gedanken-Gänge denkend reagieren.
Das gilt für Godards rech zugängliches Frühwerk (AUSSER ATEM, DIE VERACHTUNG, DIE AUSSENSEITERBANDE), das gilt für sein politisches Pamphlet-Kino in ästhetischer Eigenständigkeit (DIE CHINESIN) und auch für die Filme ab den 80ern, deren Gelungenste (VORNAME CARMEN, WEH MIR) herrlich vertrackte Bild/Ton-Collagen und hemmungslos elaborierte Gedankengänge sind.
Was John Cassavetes über sich sagte, trifft auch auf Godard zu: „Ich mag es, Filme zu drehen, aus denen die Menschen schreiend herauslaufen. Ich bin schließlich nicht in der Unterhaltungsbranche.“ Nun ist Godard im Alter von 91 Jahren gestorben. All jenen, die nicht schreiend davor fliehen, hinterläßt er ein Kino des Denkens und Sehens. Des Erkennens – und sich Irrens auch.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.