D, 1120 min
Label: Alive!/F.A.Z./Preview Production
Genre: Drama, Thriller, Stummfilm
Regie: Doris Dörrie u.a.
Als Empfehlung vor dem Abenteuer: Man sollte wirklich mit der beigefügten Doku AUGE IN AUGE beginnen. Weil sie Lust auf mehr macht, weil sie ganz wunderbar als Kompendium einer Leidenschaft dient – die für den deutschen Film. Die eine nicht immer so ganz klar bewußte sein muß, denn selbst der Regisseur des Films – der renommierte Filmkritiker Michael Althen – war gar nicht erpicht darauf, sich derart intensiv ausgerechnet mit dem Kino aus der Heimat zu beschäftigen. Amerika, Frankreich, das sind doch die Filmländer, in denen man seine Kinosozialisierung verankert sieht, dort sind doch die eigenen Helden zuhause. Althen hat sich selbst geläutert, und so wird es auch demjenigen gehen, der sich dieser interessant gemischten Box annimmt. Diese trägt das Wort „Momente“ im dadurch sinnigen Titel, denn wie es Althen selbst beschreibt, es kann doch nur ein ganz kleiner Auszug sein, aus einer Filmgeschichte, die speziell, die um so vieles ernster ist als die anderer Nationen, die in ihrer Merkwürdigkeit von ganz besonderem Reiz ist. Und die sich als Exzerpt sicher fühlen darf, denn – das zeigt AUGE IN AUGE so trefflich – Deutschland hat eine geradezu berauschende Filmgeschichte.
Dies zu untermauern, entschieden sich fünf Filmjournalisten der F.A.Z. gemeinsam mit dem Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler für die Auswahl von neun Filmen aus ganz unterschiedlichen Epochen. Am weitesten gehen zeitlich die beiden Stummfilme FRAU IM MOND (1928) von Fritz Lang und MENSCHEN AM SONNTAG (1929/30) von Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer zurück. MENSCHEN AM SONNTAG ist dabei der reizvollere Film, er hat so etwas unbeschreiblich Leichtes, was umso verblüffender ist, denkt man an die Krisenjahre seiner Entstehung. Er dient sich aber nicht als irgendwie pflichtgemäß erbauend an, vielmehr stellt er sich den einfachen Menschen zur Seite: Da wären ein Taxifahrer und ein Weinhändler, eine Plattenverkäuferin und eine Komparsin an einem Sommertag in Berlin. Die Stimmungen an diesem Tag, der nicht für alle arbeitsfrei ist, spiegeln sich wunderbar in der Musik wieder – mal als fast moderne Blasmusik, dann sehen wir die Menschen zu den Klängen eines dunkel angeschlagenen Klaviers. Es ist die mit neuen Zwischentiteln ausgestattete Fassung, die man nur anhand der Zensurkarten erstellen konnte. Zwar fehlen noch immer knapp 200 Filmmeter zur ursprünglichen Version, das tut dem geradezu sinnlichen Filmgenuß aber keinerlei Abbruch. Toll ist, daß Käutners unter schwierigen Bedingungen zum Kriegsende entstandener und im Duktus des Neorealismus gehaltener Freundschafts- und Liebesfilm UNTER DEN BRÜCKEN dabei ist, und eine Entdeckung für diejenigen, die ABSCHIED VON GESTERN bisher nicht kannten, ist Alexander Kluges Film. Die stolpernde Anita G. kann beruflich nicht Fuß fassen, verrennt sich in ihren eigenen Lügen und kämpft gegen behördliche Willkür. Kluge zeigt in teils absurden Dialogkaskaden und reportagenartig geschnittenen Bildern, wie wenig Platz für Spinner in der damals so sauberen Bundesrepublik war. Irgendwie kann man kaum glauben, daß der Film Mitte der 60er Jahre entstand – vielleicht als Antidot zu den WINNETOU-Filmen?
Zwangsläufig hat es etwas Hastiges, wenn beinahe aus jedem Jahrzehnt ein Film herausgepickt wird, der als wahrhaftiger Moment des deutschen Kinos gelten soll. Dennoch gelang die Auswahl für die 70er gut mit SUPERMARKT, eine Reminiszenz an das New Hollywood-Kino, eine in Nachtblau getünchte Großstadtballade über Willi, der nicht ins System paßt. Roland Klick ist wirklich zu Unrecht einer der zu kurz gekommenen deutschen Filmemacher, das zeigt sein Film deutlich, und schade ist auch, daß man vom Hauptdarsteller Charly Wierczejewski danach kaum noch etwas vernahm. Die 80er gehören dem einzigen „Ostfilm“ der Box, einem Film, zu dem eh kaum etwas gesagt werden muß, quasi der Film eines Landes: SOLO SUNNY.
Und dieses eigenwillige Kinojahrzehnt erinnert auch daran, daß auf westdeutscher Seite Dominik Graf mal ein brillanter Kinoregisseur war: DIE KATZE ist ein technischer, ja ein mit der Dominanz der Technik spielender Thriller, dem es gelingt, knapp zwei Stunden präzise, hochspannend und mit effizientem Schnitt von einem zum Scheitern verurteilten Bankraub zu erzählen. Oder wie es Götz George, hier mal auf der anderen Seite des Gesetzes, im Film rausnuschelt: „In zwei Stunden ist da unten Krieg ...“ Wie Doris Dörries vielleicht schwächster Film in die Sammlung gefunden hat, bleibt ein Geheimnis. Trotz prominenter Besetzung und spanischer Kulisse ist BIN ICH SCHÖN? ein theoretischer Film, in dem die einzelnen Episoden bemüht gebündelt werden und dennoch nicht zusammenpassen wollen, in dem die Dialoge aus Poesiealben zu schielen scheinen. Nur das Blutbad in der Gottfried-John-Sequenz und die Auseinandersetzung zwischen Joachim Król und Nina Petri bleiben in Erinnerung. Abschließend dann noch Christian Petzolds bisher erfolgreichste Arbeit DIE INNERE SICHERHEIT. Ohne Zeigefinger erzählt Christian Petzold eine beklemmende Geschichte über Terrorismus, über eine fast gewöhnliche Familie. Petzolds Film ist eine Bombe mit Zeitzünder. Er hat damit das deutsche Kino unschätzbar bereichert.
Jede DVD ist mit einem informativen, fundiert geschriebenen Booklet versehen und wird mit einem Gespräch des Filmhistorikers Prinzler mit dem für die jeweilige Auswahl zuständigen F.A.Z.-Filmkritiker ergänzt. Hier zeigen sich Qualitätsunterschiede: Einem Claudius Seidl mag man beim lockeren Parlieren unbegrenzt zuhören, andere Kollegen umweht so ein wenig der Hauch eines Universitätsseminars. Da kehrt ganz kurz der Ruch des deutschen Kinos zurück, vor allem spröde zu sein. Gut, daß die Mehrzahl der ausgewählten Filme dieses Klischee aus den Angeln hob, man mag nun auf eine Fortführung hoffen.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.