Schon jung verfolgt der neugierige Giuseppe, der von allen Peppino genannt wird, das ominöse Geschehen in seinem sizilianischen Kaff. Den Alten schwant, daß in der zornigen Brust des Kleinen, der den Sprengstoff-Tod seines Onkels hautnah erlebt, der Widerstand bebt. Widerstand gegen den Sumpf aus Verbrechen und Blutehre, aus Erpressung und körperlicher Gewalt. Doch es braucht noch ein paar Jahre bis aus dem Knaben ein noch zornigerer Mann wird.
Zorn hat Peppino vor allem der Verlogenheit wegen, die seine Mitmenschen zum Schweigen verdammt, zum Stillsein darüber, daß Tano Badalamenti hinter dem Tod seines Onkels Cesare steckt. Badalamenti steht für ein kriminelles Netz, dessen Name trotz der Überlegenheit von Vokalen allein beim Aussprechen für Unbehagen sorgt: MAFIA. Um Peppino entsteht eine kleine, aber heftig verbal- und aktionsradikale Gruppe, die sich der Austrocknung des moralischen und sozialen Morastes verschrieben hat. Vorerst gehen die Attacken über einen gegründeten Radiosender, dann geht Giuseppe in die Politik. Indes bläht sich nicht nur der Konflikt zwischen Giuseppe und seinem Vater, der mit Hilfe der Mafia ein kleines Restaurant betreibt, zur tödlichen Katastrophe auf. Giuseppe soll eliminiert werden. Von wem, dürfte klar sein.
Nach einem etwas unstimmig mäandernden Prolog findet Regisseur Giordana zu einer erzählerischen Kraft, die seiner aufwühlenden Geschichte, einem Drama um Vertrauen und falsche Freunde, um Gerechtigkeit und Uneigennutz, trotz sehr stiller Momente, eine Wucht verleiht, wie sie im Kino selten geworden ist. In seinen - trotz aller Ernsthaftigkeit - lakonischen Untertönen erweist sich dieses beklemmende, politisch brisante und so atemberaubend dicht erzählte filmische Kleinod durchaus als ein Kind seiner Zeit. Lähmung - so könnte die Parole lauten - hat zu viel ermöglicht, Stillstand ist der Tod, und nur deshalb müssen die Waffen geladen, die Menschen wach und die Morde genug sein.
Giordana hat einen Film geschaffen, der empört, der aufrüttelt, der unbequem Recht einfordert und dabei dennoch von jedweder Moralmeierei verschont geblieben ist. Es darf durchaus auch mit Humor gekämpft werden, scheint zwischen den Zeilen zu stehen. Aber Recht muß es wieder werden. Ein wahrlich ehrenhaftes Anliegen, ein wahrhaft großer Film.
Originaltitel: I CENTO PASSI
I 2000, 104 min
Verleih: Schwarz-Weiss
Genre: Drama, Polit
Darsteller: Luigi Lo Cascio, Lucia Sardo, Luigi Maria Burruano
Regie: Marco Tullio Giordana
Kinostart: 28.08.03
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.