Es ist ein asiatisches Phänomen, für ein Gesellschaftssystem stehend, das stark auf Funktion setzt: die Hikikomori, wie sie auf Japanisch heißen, meist jugendlich, vermehrt männlich, die ihre Zimmer nicht mehr verlassen. Sich stumm einer Welt verweigern, die sie zu Leistung und Konkurrenz anhält, und dadurch ihrer Familie Schande bereiten, zwar durchgefüttert, aber versteckt werden. Den Filmemacher Marcel Ahrenholz hatte dieses Phänomen fasziniert, und er wollte wissen, ob es sie auch in Deutschland gibt, diese Totalverweigerer.
Eine Mutter, Manuela, die in der Peripherie von Leipzig wohnt, fand sich bereit zu erzählen. Von Peter, ihrem Sohn, der seit fünf Jahren sein Zimmer kaum verläßt. Auch die Kamera wird ihn nicht festhalten, nur einige Spuren finden: eine klappende Tür und einen Berg dreckiger Wäsche davor, einen benutzten Teller in der Spüle. Ein Rollo, das immer unten bleibt, als blindes Auge des Hauses, das eigentlich so schön bürgerlich ist. Der Vater habe immer einen Jungen haben wollen, aber eben nicht so einen, sagt Manuela. Ahrenholz hat auch den Mann nicht vor der Kamera, und Hans, der andere Sohn, läßt sich zwar ab und an kurz filmen, spricht aber nicht. Alle schweigen. Außer Manuela. Und die Kamera tastet sie ab, diese mädchenhafte Frau mit der roten Mähne, zeigt ihre wachen Augen in allen Zuständen: Augenringe, strahlende Hoffnung, Stärke, Ratlosigkeit. Kinderzeichnungen werden in die Kamera gehalten, Frauengespräche unter Freundinnen, Bauchtanz, Arztprotokolle und Gerichtsbeschlüsse verlesen.
Eine Mutter, die um das Vertrauen ihres Sohnes kämpft, porträtiert Ahrenholz, die am Ende alles angeblich nur schlimmer gemacht hätte mit ihrer Mutterliebe, wie die Ärzte in der Psychiatrie behaupten. Der Zustand ihres Sohnes läßt sich nur in Eckpunkten erklären. Peter liebt Sachbücher statt Computerspiele, wurde stark gemobbt in der Schule, fand seinen Platz nicht. Er grübelt, hat Angstzustände. Für den Vater ist er ein Schmarotzer. Ahrenholz protokolliert auch das stille Scheitern einer Familie, die aufkommende Müdigkeit von Manuela, der Bibliothekarin, die sich in den verschlungenen Katakomben der Deutschen Bücherei, am Platz ihrer Heldensagen, verliert, tapfer ihre Feenfiguren aus Porzellan auch in der neuen Wohnung auspackt, nachdem sie ihren Mann verlassen hat, die ihre Wunden zeigt. Nur durch sie wird Peter sichtbar. Denn was der Filmemacher uns schuldig bleibt, ist zu erzählen, wie Peter denn nun den Regen beschreibt, auf vierzehnerlei Art.
D 2013, 80 min
Verleih: Made In Germany
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Marcel Ahrenholz
Drehbuch: Marcel Ahrenholz
Kinostart: 05.06.14
[ Susanne Schulz ]