D 2016, 103 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Drama, Schicksal
Darsteller: Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Emilia Pieske, Johanna Gastdorf
Regie: Anne Zohra Berrached
Kinostart: 22.09.16
Einst bei einer Ultraschalluntersuchung sagte ein Arzt zu uns: „Heute wollen alle Eltern, daß ihr Kind etwas Besonderes ist, aber bei den vorgeburtlichen Untersuchungen sollen bitte alle Werte innerhalb der Norm liegen.“ Doch was, wenn es eben nicht so ist? Wenn das Baby mit großer Wahrscheinlichkeit behindert oder krank geboren wird? Die Pränataldiagnostik gehört mittlerweile zu den Routineuntersuchungen in der Schwangerschaft, doch mitunter konfrontiert sie die Menschen mit einem Wissen, das sie überfordert und Entscheidungen von ihnen verlangt, die sie nie treffen wollten.
Astrid und Markus sind ein Power-Paar: Sie, eine erfolgreiche Komödiantin, die in Glitzerkleid und High Heels ihr Publikum mit derb-feministischen Witzen à la Carolin Kebekus zum Lachen bringt. Er, der ruhende Pol im Hintergrund, der ihre Karriere managt. Zusammen mit ihrer 9jährigen Tochter Nele freuen sie sich auf die Geburt ihres zweiten Kindes. Ihre Vorfreude wird jäh getrübt, als sie erfahren, daß ihr Kind höchstwahrscheinlich mit Down-Syndrom geboren werden wird.
Nachdem sie den ersten Schock verarbeitet haben, entschließen sich beide, ihr Leben auch mit einem behinderten Kind fortzuführen. Schließlich leben sie in bestens abgefederten Verhältnissen: beruflich erfolgreich, keine finanziellen Sorgen, großes Haus und soziale Unterstützung. Ihr Entschluß gerät ins Wanken, als herauskommt, daß ihr Baby zusätzlich einen schweren Herzfehler hat und unmittelbar nach der Geburt operiert werden muß.
Das Paar versucht herauszufinden, was es bedeuten würde, sich auf dieses Kind einzulassen. Sie besuchen eine Intensivstation, in der kleine Würmchen in Brutkästen liegen und um ihr Leben kämpfen. Astrid ist schockiert, die Kinder leiden unsäglich in ihren Augen. Markus hingegen sieht, daß die Kinder trotz aller widrigen Umstände am Leben sind.
Julia Jentsch und Bjarne Mädel spielen dieses Paar in 24 WOCHEN mit großer Aufrichtigkeit und Sensibilität. Man sieht zwei Menschen, die um eine eigentlich unmögliche Entscheidung ringen. Eine Entscheidung, die sie mit ihren Grenzen konfrontiert. „Wir sind Richter über Leben und Tod unseres ungeborenen Kindes“, so formuliert es Markus. Doch an welchen Wertmaßstäben richtet das Paar seine Entscheidung aus? Da sie nicht religiös sind, hilft ihnen die Kirche nicht weiter. Wessen Rechte wiegen stärker? Die des Ungeborenen oder die der Menschen, die schon da sind? Besonders Astrid zweifelt, ob sie in der Lage wäre, ihr bisheriges Leben aufzugeben.
Die Filmemacherin Anne Zohra Berrached hat mit ihrem Film den Fokus auf ein Thema gelegt, das öffentlich kaum diskutiert wird. Bei einer entsprechenden medizinischen Indikation sind in Deutschland Spätabtreibungen bis kurz vor der Geburt möglich. 90 Prozent der betroffenen Frauen entscheiden sich für einen Spätabbruch. Nach der 22. Schwangerschaftswoche wird das Kind mit einer Kaliumspritze getötet, bevor die Geburt eingeleitet wird.
Berrached wertet die Entscheidung ihrer Protagonisten nicht. Sie ist nicht pro oder kontra Abtreibung. Aber sie zeigt in aller Deutlichkeit, was bei einer Entscheidung für einen Abbruch passiert. Dabei mischt die Regisseurin fiktionale und dokumentarische Elemente.
Den Dialogen und Szenen liegen ausführliche Interviews mit Betroffenen zugrunde. Die auftretenden Ärzte und Hebammen sind Laiendarsteller, die sich in ihrer normalen Arbeitsumgebung spielen. Dadurch erreicht der Film ein Höchstmaß an Authentizität.
24 WOCHEN ist durchaus Mut zu attestieren, ein Film, der seinem Publikum einiges abverlangt, regelrecht zumutet, der dabei alle filmischen Mittel ganz in den Dienst seiner zentralen Frage stellt. Allen am Projekt Beteiligten gebührt großer Respekt, sich einem solch schwierigen Thema zu stellen. Zwar setzt die Regisseurin immer wieder Kontrapunkte, die Leichtigkeit in den Film bringen, doch insbesondere im letzten Drittel ist er in seiner emotionalen Intensität schwer auszuhalten.
Am Ende bleibt eine große Ratlosigkeit. Wie würde man selbst in dieser Situation entscheiden? Eine der Hebammen, die Astrid auf ihrem Weg begleiten, sagt: „Diese Entscheidung kann man nur treffen, wenn man sie treffen muß.“
[ Dörthe Gromes ]