Fast 8000 Kilometer lang also ist die Rennstrecke dieser seltsamen Veranstaltung westlicher Technikbegeisterung, die Rallye Paris-Dakar. Zu Motorrad und Jeep fällt das Rennrudel einmal jährlich wie zur wilden Jagd über Westafrika her, ohne sich Gedanken über irgendwelche Landesgrenzen zu machen. Das Land, das es dabei quasi überholt, ist für die Medien eher ein virtueller Raum, der irgendeinem Computerspiel entsprungen scheint, und genau so wird dies auf den Fachmessen, die der Film unkommentiert an den Anfang setzt, auch präsentiert.
Doch dann gehört der Film der Wüste, eben jenem Land, das auch hinterher noch da ist. Der Film entdeckt die Reifenspuren im Sand. Der Flüchtigkeit des Medienereignisses setzt er die scheinbar endlose Panoramaaufnahme entgegen. Das Prinzip der Langsamkeit und des sich Einlassens ersetzt das Wettrennen, und schon dauert die Strecke von Marokko nach Senegal einige Wochen länger. Wochen, in denen Nikolaus Geyrhalter und sein Team die Perspektive der Menschen am Wegesrand einfangen. Da schwärmt das Dorfmädchen vollkommen unvoreingenommen über die Europäer, die es sich nett und hübsch vorstellt, während der verschleierte Beduine darüber schimpft, daß die motorisierten Abenteurer lieber auf ihren GPS hören, als auf seine Worte, und somit einen Umweg machen. Es gibt eben noch keinen zuverlässigen elektronischen Führer durch die Sahara.
Doch die Rallye ist nur der Aufhänger, um ein wenig über das Leben dieser zufälligen Bekanntschaften zu erfahren. Wir verweilen bei Grenzsoldaten, die mit Kanonenwagen eine nicht geklärte Grenzlinie inmitten der Einöde bewachen, bei Männern, die auf einem fahrenden Zug zwischen Eseln und Ziegen scheinbar gegen die Kamera anbeten – Richtung Mekka, oder bei einem 70jährigen Arbeiter, der stolz darauf ist, daß seine Firma Eisen nach Europa exportiert.
Ehe man sich versieht, hat der Film die Blickrichtung einfach umgekehrt. Fluchtpunkt Europa. Ziel so vieler Menschen, die sich von allen Möglichkeiten abgeschnitten fühlen. Folgerichtig stoßen wir in Dakar auch auf die „Boat-People“, für die der große Ozean die Grenze nach Europa ist. Und hier schließt sich der Kreis. Wie am Anfang sehen wir Medienbilder: Dutzende von Menschen auf einer winzigen Nußschale auf offener See, aufgenommen aus der Luft. Die Strecke Dakar-Paris hat jedenfalls nichts von einer Rallye.
Österreich 2008, 106 min
Verleih: Peripher
Genre: Dokumentation
Regie: Nikolaus Geyrhalter
Kinostart: 08.10.09
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...