• Meinungen

791 km

Sturmtief und Taxihoch

Herwarth kommt! Fegt als Sturmtief quer und längs durchs deutsche Land, Bäume brechen ab und der Zugverkehr zusammen, die Taxifahrer am Münchner Hauptbahnhof erreicht jedoch das seltene Gefühl eines Hochs, denn die DB verteilt Gutscheine. Für 350 Euro nach Hamburg, glatte 791 KM – einsteigen, bitte! Oder am besten ungefragt.

Berufs-Chauffeur Joseph hatte nur kurz vergessen, das Schildchen auf dem Taxidach auszuschalten, und schon wird nix aus der geplanten Solofahrt zu den Fehlern seiner eigenen Biographie. Im Kofferraum liegt ein Anzug, den braucht er. Vielleicht hätte er noch einmal in Ruhe nachdenken können auf dem Weg gen Norden. Jetzt aber muß er reden. Vier Gäste haben sich zu ihm in den Wagen gequetscht, und Althippie Marianne will auch gleich, daß man sich mal gegenseitig vorstellt. Tiana und Philipp sind ein Paar oder lösen sich als solches gerade auf, Susi braucht ein wenig, um sich die Kapuze vom Kopf zu ziehen und dann die Jüngste zu werden, und Joseph, der grantelnde Lenker, muß sich sowieso erst sortieren.

Tragisch, komisch, hitzig, beleidigt, forsch und fahrlässig geht es alsbald zu im blaßgelben Wagen. Deutscher Generationenalltag, kondensiert auf fünf Typen, die das ganze Spektrum draufhaben – von Cancel bis Cancer, von Tempolimit, hintergründiger Migration und Bach bis zur spätbewegten Frau und frühen Mutterschaft. Ein Kammerspiel im Fünftürer, ein „Empathiefilm“, sagt Regisseur Tobi Baumann. Das nimmt vorweg, was sich nach dem Aussteigen alles gerichtet haben wird. 791 KM lang und flankiert von ein paarmal Augen-zu-und-gerne-durch-die-Wand wird man hier solide unterhalten. Liegt auch am Ensemble, Vorteil Król.

[ Andreas Körner ]