D/Argentinien 2023, 93 min
FSK 12
Verleih: Alpenrepublik
Genre: Drama, Musik
Darsteller: Diego Cremonesi, Marina Bellati, Manuel Vicente, Carlos Portaluppi, Regina Lamm
Regie: German Kral
Kinostart: 11.05.23
Selbst beim Autohändler wird der Zustand des Landes sichtbar: Die da seien nach Europa, sagt der Betreiber, der in die USA, und diese Besitzer hier haben es nicht sehr weit geschafft, nur nach Brasilien. Bald soll ein weiterer Wagen hinzukommen, Diego will seinen alten Peugeot verkaufen, weil es ihn mit seiner 14jährigen Tochter und der alten Mutter nach Deutschland zieht, wo seine Vorfahren lebten und alles besser ist oder zumindest sein soll. Salopp bringt es Diego auf den Punkt: „Dort klaut keiner, es gibt immer Strom, und man kann seine Hunde sogar mit ins Restaurant nehmen.“
Argentinien im Herbst 2001: Unruhen durchziehen den Alltag, die Wirtschaft ist kraftlos, die Politik korrupt, Chaos regiert, das Volk begehrt auf. Die einzige Konstante ist der Tango. In Filmen aus und über Argentinien verkommt diese Tatsache sehr oft zum sattsam gängigen Klischee. Der 1968 dort geborene, seit über drei Jahrzehnten in Deutschland lebende Regisseur German Kral versucht gar nicht erst, dem Tango als Schrittmaß, Lebensgefühl und -maxime zu entkommen. Für EIN LETZTER TANGO porträtierte er 2016 dokumentarisch ein betagtes Tanzpaar, jetzt baut er um Realitäten eine fiktionale Geschichte über Familienbande, Träume, Tonfall und Entscheidungen. Wo ein Drama zu vermuten wäre, entscheidet sich Kral für die Luftigkeit, den Blick der zahmen Sorte, die Lösungen.
Diego hatte einst den Schuhladen seines Vaters übernommen, spielt Bandoneon mit ein paar Herren seines Alters plus X, wobei sie bei seltenen Auftritten eher mit drei Empanadas pro Person statt einer Gage belohnt werden. Als alleinerziehender Vater erträgt Diego die Launen seiner Tochter ebenso wie die Kollision mit Mariela, die mit ihrem Taxi eine Ampel ignoriert. Man muß schon das erste Mal im Kino sein, um hier nicht sofort den Fortlauf der Dinge zu erahnen, auch wenn Diego ziemlich fest entschlossen scheint, die Frustration über Zustände gegen die vage Hoffnung einer Ausreise zu tauschen. ADIÓS BUENOS AIRES soll Motto sein, kein reiner Filmname.
Davor aber (oder eben nicht) hat das Drehbuch die Rekrutierung eines singenden Oldtimers gesetzt, die Unerschütterlichkeit einer ersten oder nächsten Liebe des Lebens, hitzig auf der Bank geparktes und dann eingefrorenes Geld, mehr Weh als Mut und ein Sich-Fügen in die Dinge auf sympathische Art. Sieht sich an, sieht sich weg, tut gut, nicht weh.
[ Andreas Körner ]