D 2015, 105 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Drama, Liebe, Literaturverfilmung
Darsteller: Ondine Johne, Stephan Kampwirth
Regie: Johannes Schmid
Kinostart: 02.06.16
Am Anfang ist es eine flüchtige Begegnung: ein Blick über die Schulter, ein Gruß auf der Treppe. Doch die Anziehung zwischen Agnes und Walter ist vom ersten Moment an spürbar. Sie sind ein ungleiches Paar: Sie, die junge aufstrebende Physikerin, er, der ältere Sachbuchautor, dessen letzter Erfolg schon eine Weile zurückliegt. Eines aber haben sie gemeinsam: die Unfähigkeit zu lieben.
Als Agnes Walter animiert, die gemeinsame Liebesgeschichte aufzuschreiben, zögert er erst. Doch dann wächst er immer mehr in das Geschriebene hinein, bis zu jenem neuralgischen Punkt: „Es müßte etwas passieren, damit die Geschichte weitergeht“, sagt er ihr während eines Zelturlaubs, als sie nackt neben ihm auf der Decke liegt. „Bist Du nicht glücklich?“, fragt Agnes. Er erklärt ihr, daß Glück allein nicht ausreicht, um gute Geschichten zu erzählen, und formuliert damit nicht nur den Kern das Films, sondern auch des menschlichen Miteinanders. Glück zu finden macht Spaß, es zu behalten ist Arbeit. Es bedeutet nicht nur in Erfüllung gegangene Sehnsüchte, sondern auch Stillstand, Ankommen, vielleicht sogar Langeweile.
Regisseur Johannes Schmid erzählt mit AGNES keine klassische Liebesgeschichte. Alles, was nach dem Zusammenkommen der beiden passiert, liegt nicht klar auf der Hand: das Verschwinden von Agnes, das gemeinsame Kind. Man weiß nicht, was Realität ist oder Fiktion. Denn Schmid bebildert gleichermaßen einen Möglichkeitsraum, was passieren könnte.
Als Vorlage dient ihm der gleichnamige Roman des Schriftstellers Peter Stamm. In diesem rein vom Umfang her dünnen Buch ist die Sprache klar und reduziert. Und obwohl nur das Nötigste erzählt wird, ist die Welt, die sich hinter der Sprache verbirgt, riesig. „Du mußt, wenn Du unser Glück beschreiben willst, ganz viele kleine Punkte machen. Und daß es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen“, sagt Agnes im Buch.
Schmid übersetzt Stamms minimalistische Erzählweise gekonnt in bewegte Bilder: unverschnörkelte Dialoge in anonymen Großstadtwohnungen. Die Handlung verortet er ausschließlich im Hier und Jetzt. Odine Johne als Agnes ist stark und zerbrechlich gleichzeitig. Der gefühlsärmere Walter entwickelt sich immer mehr zum Motor der Beziehung, deren Entwicklung bis zum Ende spannend bleibt und tragisch. Denn wenn die Vorstellung von der Liebe stärker ist als die Realität, dann entsteht anstatt Nähe Einsamkeit.
[ Claudia Euen ]