Oskar Roehlers großes Reizthema ist die Familie. Nicht als ein Hort der Geborgenheit, eher der Extravaganzen, des Zerfalls, der Tragödien. Nach seinen beiden nachhaltig beeindruckenden Werken DIE UNBERÜHRBARE und DER ALTE AFFE ANGST äußert er sich diesmal weniger autobiographisch, sondern beobachtet drei Brüder, deren Leben keine Baustellen, dafür echte Klärgruben sind. Und: Roehler hat nicht nur sein Lieblingsthema wiedergefunden, er lebt jetzt - sicher recht spät - seine anale Phase quasi öffentlich aus.
Wie sonst ist zu erklären, daß der älteste der Brüder, ein Dosen-Pfand-Politiker, dessen Frau sich lange vor ihm ekelt, schließlich wegläuft, der Sohn gleich mit, da er eh keinen Respekt vor dem Alten hat, ganz spontan mal auf den Teppich scheißt? Oder Hans-Jörg etwa, der jungen Studentinnen nachsteigende Bibliothekar, schaut mit Vorliebe den Damen beim Kacken zu. Merkwürdig. Das einzige Rätsel, dessen Lösung den Zuschauer aber tatsächlich interessiert hätte, oder über das man wenigstens ansatzweise ein paar schlüssige Details zu erfahren gewünscht hätte, ist Agnes, die jüngste der Brüder. Sie war früher mal ein Mann, hat richtigen Streß mit ihrem Liebhaber, tanzt durch die Nacht und ist das einzige Wesen, welches Sympathien zu ernten verdient. Aber gerade sie - obwohl titelgebend - bleibt in Roehlers recht wüstem Universum leider nur Randfigur.
Wie immer filmt Roehler mit einigem Talent den Alptraum in todschicken Locations. Da stimmt das Licht, das Interieur, da begeistert - neben Martin Weiß als Agnes - vor allem das Spiel Katja Riemanns als Politiker-Gattin. Aber eine stringente Geschichte vermag er diesmal kaum zu erzählen. Das liegt daran, daß Roehler sein schräges Drama zum einen wie gesagt falsch auslotet, zum anderen mit Vatermord, Mißbrauch, Alkoholsucht, Pornofilmern und eben jenen Fäkalszenen selbst dem ihm wohlgesonnenen Zuschauer ein bißchen viel abverlangt.
Das ist nicht anstrengend, wie man’s bei Roehler sonst kennt und schätzt, es ist leider nur holprig. Agnes sagt in einer der schönsten Szenen des durchaus ambitionierten Films: "Ich bin halt immer etwas traurig." So geht’s mir diesmal bei Roehler.
D 2004, 115 min
Verleih: X Verleih
Genre: Tragikomödie, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Martin Weiß, Moritz Bleibtreu, Herbert Knaup, Katja Riemann, Tom Schilling, Til Schweiger
Regie: Oskar Roehler
Kinostart: 14.10.04
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.