Mit chinesischen Dissidenten ist das so eine Sache. Immer wieder hört man von massiven staatlichen Bedrohungen, doch allen internationalen Solidaritätsadressen zum Trotz bleibt unser Wissen über die Hintergründe lückenhaft. Wer genau ist Chen Guangcheng, und wer war noch mal Liu Xiaobo? Daß es beim Namen Ai Weiwei noch am ehesten klingelt, liegt ohne Zweifel daran, daß der chinesische Systemkritiker und Künstler ein ungemeines Gespür dafür hat, mit wenigen Worten viel zu sagen. Nicht umsonst nutzt er vor allem Twitter als Kommunikationsmedium und ist mit seinen künstlerischen Arbeiten weltweit erfolgreich.
Die junge US-Amerikanerin Alyson Klayman hat Ai Weiwei über einen Zeitraum von drei Jahren begleitet, ihr Film zeigt ihn mit Weggefährten und Familienmitgliedern und kann auch mit diversen Archiv-Aufnahmen seiner politischen Kampagnen aufwarten. Um es kurz zu machen: Klayman setzt Ai Weiwei ein Denkmal, eine kritische Sicht auf den bulligen Künstler, der seine Arbeiten mehr oder weniger ausschließlich durch einen großen Stab an Mitarbeitern realisieren läßt (und daraus auch keinen Hehl macht), ist ganz offensichtlich nicht vorgesehen.
Daß AI WEIWEI: NEVER SORRY trotzdem zu einem interessanten Film geworden ist, liegt vor allem am Künstler selbst, der aus Erfahrung ganz genau weiß, wie man mit (kritischen und unkritischen) Beobachtern am geschicktesten umgeht. Sein Wille zur Transparenz, seine entwaffnende Offenheit machen aus ihm den heimlichen Regisseur dieses Films. Ganz offensichtlich war es Ai Weiweis eigene Entscheidung, daß kontroverse Themen (wie sein unehelicher Sohn) eine Rolle spielen sollen. Er dreht einfach den Spieß um und nutzt den Film als sein eigenes Medium. Ganz ähnlich reagierte er 2011, als der Geheimdienst begann, ihn rund um die Uhr zu überwachen. Er installierte vier Webcams in seiner Wohnung, deren Bilder permanent ins Netz übertragen wurden, „ ... damit alle Leute sehen, daß es mir gut geht.“ Schon nach 48 Stunden schaltete die chinesische Regierung die Webseite ab, der internationale Protest war (mal wieder) riesig.
Fazit: Wer einen 1:1-Einblick in das Schaffen eines ausgebufften (und sehr humorvollen) Kommunikationsprofis möchte, der sollte diesen Film nicht verpassen, ein kritischer oder gar investigativer Dokumentarfilm sieht indes anders aus.
Originaltitel: AI WEI WEI: NEVER SORRY
USA 2012, 91 min
FSK 6
Verleih: DCM
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Alison Klayman
Kinostart: 14.06.12
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.