Der zweite Langfilm Nabil Ayouchs ist ein Plädoyer für die Straßenkinder. Aber Ayouch will mehr als nur das Interesse des Zuschauers für ein gesellschaftliches Problem wecken, mehr als eine Seite anklingen lassen, die sich in Mitleid erschöpft und am ehesten den Eindruck von Hoffnungslosigkeit hinterläßt.
Hier erzählt er die Geschichte des 15jährigen Ali und seiner 12jährigen Freunde Kouka, Omar und Boubker. Gemeinsam leben die vier auf den Straßen von Casablanca. Von der großen Gang Dib’s haben sie sich getrennt. Ali träumt davon wegzugehen. Er heuert bei einem Kapitän an und möchte sich auf die Suche machen nach einer Insel mit zwei Sonnen. In einer Auseinandersetzung mit der rivalisierenden Straßenbande, die der Slogan "Das Leben ist Scheiße" und Dib’s repressive Führung zusammenhält, wird Ali getötet. Sein Traum wird zum Traum seiner Gefährten, jener Drei, die plötzlich ohne ihn sind.
Der gemeinsame Wunsch, dem Freund das Begräbnis eines Prinzen zu ermöglichen, markiert den Punkt, an welchem sich ALI ZAOUA erkennbar vom anfänglich dokumentarischen Charakter löst. Fortan schwankt die Erzählung zwischen Traum und Realität, fast deutet sie auf einen märchenhaften Zugang hin. Der Prinz Ali und sein Traum werden zum Sinnbild des Lebenswillens der Jungen. Sie entwickeln ihre eigenen Träume, welche, wenn auch weit ab von der täglichen Realität der Straße, doch mit ihr verschmelzen und damit den Kindern ein Ziel weisen. Die Realität steht hier im Dienste der Fiktion.
Wenn Kouka, Omar und Boubker die Schilderung ihrer Träume mit "wenn ich einmal tot bin..." beginnen, mag diese Szene zu einer der bedrückendsten und intensivsten gehören. Dabei ist sie jedoch auch als Ausdruck von Hoffnung im Diesseits zu begreifen. Nabil Ayouch ist ein ungewöhnliches und seltenes Plädoyer gelungen. Mit ALI ZAOUA hat er dem Zuschauer die Möglichkeit gegeben, den Straßenkindern mit Respekt und Achtung zu begegnen, sie als Persönlichkeiten anstatt vorrangig als gesellschaftliches Problem zu begreifen.
Originaltitel: ALI ZAOUA
Marokko/F/Belgien 2000, 100 min
Verleih: Arsenal
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Mounim Kbab, Mustapha Hansali, Hicham Moussoune, Abdelhak Zhayra
Regie: Nabil Ayouch
Kinostart: 11.04.02
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.