Originaltitel: ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED

USA 2022, 122 min
FSK 12
Verleih: Plaion

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: Laura Poitras

Kinostart: 25.05.23

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All The Beauty And The Bloodshed

Kampfeswut und Künstlerporträt – Tücken im Dualismus

In Leben und Werk der amerikanischen Fotografin Nan Goldin liegen das Schöne und das Schreckliche nah beieinander. Ihre Arbeiten kreisen um Außenseiter, Intimität und Sexualität, aber auch um deren Kehrseiten: Ausgrenzung, Gewalt und Sucht. Häufig zeigen sie Mitglieder von Goldins Wahlfamilie aus der queeren New Yorker Underground-Szene der 70er- bis 90er-Jahre. Die Fotografie war für die Künstlerin Fluchthilfe aus einem kalten Elternhaus, dem sie eine Mitschuld am Selbstmord ihrer älteren Schwester zuschreibt.

Über Glück und Unglück ihres bewegten Lebens erzählt die 70jährige schonungslos offen in ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED, dem neuen Film der renommierten Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Goldins sinnlich-irritierende Fotos kommen auf der großen Leinwand sehr gut zur Geltung. Mitunter möchte man den Film anhalten, um die Bilder in Ruhe zu betrachten. Neben diesem sensiblen Künstlerinnenporträt erzählt Poitras noch eine zweite Geschichte: die von der Aktivistin Goldin, die sich mit der mächtigen Sackler-Familie anlegt. Über ihre Firma Purdue Pharma überschwemmten die Sacklers die USA mit leicht verfügbaren, starken Schmerzmitteln, die schnell abhängig machen. Sie waren eine wesentliche Ursache für die bis heute anhaltende Opioid-Krise in den Vereinigten Staaten mit annähernd einer Million Drogentoten. Gleichzeitig traten sie als spendable Philantrophen in den berühmtesten Museen der Welt auf. Ein nicht zu ertragender Widerspruch für Goldin. Nachdem sie selbst das Schmerzmittel Oxycontin nach einer Operation verschrieben bekam und süchtig wurde, kämpft sie dafür, den Namen Sackler aus den Museen zu verbannen.

Poitras zeigt einen klassischen David-gegen-Goliath-Kampf, vernachlässigt darüber aber eine Einordnung des Geschehens in einen größeren Kontext. Über die vielschichtigen Ursachen der Opioid-Krise erfährt man so gut wie nichts. Die Sacklers stehen monolithisch als Bösewichte da, doch auch für Ärzte, Apotheken und sogenannte Pillenfabriken waren die Opiate ein einträgliches Geschäft. Auch fragt man sich aus deutscher Perspektive, warum diese Medikamente in den USA offenbar nicht unters Betäubungsmittelgesetz (Controlled Substances Act) fielen.

So hat die Regisseurin im Grunde zwei Filme gedreht, die nicht ganz paßgenau zusammengehen: Wer Nan Goldin (wieder-)entdecken möchte, ist hier richtig. Wer hingegen die Opioid-Krise verstehen will, sollte sich andere Quellen suchen.

[ Dörthe Gromes ]